Warstader Geschichten

Fluppeier

Die nachfolgende Geschichte ist Ende der 50'er Jahre so ungefähr tatsächlich passiert und seinerzeit auch durch die Niederelbe-Zeitung veröffentlicht worden.

"Versteh' ich gar nicht, dass Du jetzt doch nichts essen willst. Vorhin hast du noch gesagt, was für einen Bärenhunger Du hast!" Henry sah Gerhard verblüfft an.
"Ach, weißt Du - gekochte Eier - darauf habe ich im Moment wirklich keinen Appetit." Und das stimmte sogar; allerdings konnte der ahnungslose Henry nicht wissen, woher der plötzliche Gesinnungswandel seines Jagdgenossen rührte.
Eigentlich konnten sie froh sein, in der abgelegenen Kneipe überhaupt etwas zu essen zu bekommen. Normalerweise verirrten sich nur gelegentlich ein paar Ausflügler hierher, und zweimal in der Woche kamen Kartenspieler aus der nächsten Ortschaft, um lautstark und von Kiebitzen ungestört ihren Skat zu klopfen. Kein Wunder, dass die 20-köpfige Jagdgesellschaft, die plötzlich und unangemeldet mit Getöse in in den betulichen Alltag der Wirtsleute einbrach, diese völlig überforderte. "Wenn ji wat tu eten hemm wullt, möht ji mi dat vorher seggen," erklärte der Wirt. "Wi hebbt nix!" (Wenn Ihr etwas zu essen haben wollt, müsst Ihr mir das vorher sagen. Wir haben nichts).

Erst nach langem Palaver und diversen Vorschlägen, die vom Aufwärmen des Mittagessens bis zum Braten der erlegten Fasane reichten und allesamt abgelehnt wurden, konnte man schließlich einen Teilerfolg erzielen. Widerstrebend erklärte sich der Wirt bereit, gekochte Eier zu servieren. Davon seien genügend da.
Nach der endlosen Diskussion hatte Gerhard ein menschliches Rühren gepackt und zu einem Gang über den Hofplatz zu dem ausgelagerten PC (Plumpsclosett) veranlasst. Von dort zurückkommend, konnte er trotz knurrenden Magens neidlos zuschauen, wie seine von der Jagd ausgehungerten Kollegen sich gerade über die appetitlich dampfenden, frisch gekochten Eier hermachten und innerhalb kürzester Zeit die Wochenproduktion von 12 fleißigen Legehennen mit Strömen von Bier und Korn herunterspülten.
In der kurzen Pause gefräßigen Schweigens, das dem Essen folgte, kam dann Gerhards großer Auftritt. "Wisst ihr eigentlich, was ihr da eben gegessen habt?" fragte er provozierend in die Runde. Verständnislose, fragende Blicke!  "Eigentlich dachten wir, wir hätten Eier gegessen, aber vielleicht willst Du uns ja jetzt erklären, dass es Bratwürste waren! ", versuchte sich ein Witzbold.  "Ja, Eier, schon, aber was für Eier?" frohlockte Gerhard. Schweigen ringsum. "Fluppeier!" triumphierte Gerhard.
"Fluppeier?"
"Ja, Fluppeier!"
"Was ist das denn?"
Und jetzt rückte Gerhard mit dem Geheimnis heraus. "Kurz bevor die Eier auf den Tisch kamen, war ich doch auf der Toilette. Dazu musste ich über den Hof am Küchenfenster vorbei gehen. Und da saß die alte Oma und hat die Eier gepellt. Weil sie vorher wohl draußen gearbeitet hatte, waren ihre Hände ziemlich schmutzig - und das sah man den gepellten Eiern an."
"Igitt, aber die Eier waren doch total sauber, als sie auf den Tisch kamen!" kam der Einwand.
"Schon, aber wisst Ihr auch, wie sie das gemacht hat? Ihr glaubt es nicht! Sie hatte ihr Gebiss auf den Tisch gelegt, nahm das fertig gepellte Ei, schob es in ihren  Mund, drehte es dort ein bisschen und spuckte es dann - flupp - auf den Teller, ohne es wieder mit der Hand zu berühren. Das Ei war dadurch natürlich strahlend weiß. Genial, nicht?! Und diese tollen weißen Fluppeier habt Ihr eben gegessen!"
Betretenes Schweigen, aber wie berichtet wurde, soll es außer zu leichten Übelkeits-erscheinungen zu keinen weiteren gesundheitlichen Schäden der Jagdgesellschaft gekommen sein. Kein Wunder bei derart sorgfältiger Zubereitung der Nahrungsmittel.