Spiele
Vor einigen Jahren fragte ein Abiturient des
Warstader Gymnasiums bei mir an, ob ich ihm nicht mit Informationen zu
seinem Referat über die Entwicklung der Warstader Hauptstraße der 50’er
Jahre behilflich sein könnte. Ich sagte gerne zu, ihn im Rahmen des
Möglichen bei seinen Recherchen zu unterstützen. In dem sich daraus
entwickelnden Mailverkehr konnte ich einige seiner Fragen beantworten.
Doch der junge Mann war sehr wissbegierig und stellte auch Fragen, die
seinen Themenbereich nur am Rande berührten. Unter anderem wollte er
wissen, wie wir denn in diesen Jahren als Kinder unsere Zeit verbracht und
was für Spiele wir gespielt hätten.
Ich habe mich dieser Frage einige Zeit gewidmet und
insbesondere überlegt, was denn für die Kinder heute anders ist als es für
uns war. Natürlich, wir hatten kein Fernsehen, keine Computer und keine
Handys und unsere Eltern waren nicht motorisiert und hatten auch nicht
viel Zeit für uns, weil sie all ihre Kräfte auf den Lebensunterhalt ihrer
Familie konzentrieren mussten – das war schon ein gewaltiger Unterschied
zu heute. Wir waren also, wenn ich das mal so lapidar feststellen darf, in
der Gestaltung unserer Freizeit weitgehend uns selbst überlassen. Von
Helikopter-Eltern zur Schule und nachmittags zum Klavierunterricht oder
zum Tennis gebracht zu werden – so etwas gab es nicht. Alles, was wir
unternahmen, entsprang der eigenen Aktivität und oftmals auch der eigenen
Phantasie und war im Regelfall auch mit körperlichen Anstrengungen
verbunden, allein schon, um an den jeweiligen Spielort zu gelangen.
Die Badeanstalt
Im
Sommer der wohl beliebteste Spielplatz war die Badeanstalt, 2 km entfernt,
an der Grenze zwischen Warstade und dem benachbarten Basbeck gelegen. Sie
war eigentlich ein kleiner See, der aus einer alten Ton-/Kiesgrube
entstanden war Die Grube hatte sich nach dem Ende des Abbaus mit Wasser
gefüllt und war dann (von der Gemeinde Basbeck?) zu einer Badeanstalt mit
hölzernen Laufstegen und Abtrennungen von Planschbecken, Nichtschwimmer-
und Schwimmerbereichen ausgebaut worden.
Nur, dieser Ausbau war in der Nachkriegszeit sehr schnell Opfer des
Brennholzbedarfs der Bevölkerung geworden, so dass zu meiner Zeit nur noch
einige Pfosten und die Reste eines
3 m – Sprungturms vorhanden waren, wie das vorstehende Bild zeigt.
Außerhalb des Nichtschwimmerbereichs fiel der Grund sehr schnell ab, so
dass Nichtschwimmer sich tunlichst in dem durch die alten Pfosten
begrenzten Nichtschwimmerbereich aufhalten sollten. Das wiederum war für
jeden von uns Anreiz, alsbald das Schwimmen zu lernen und mit den ersten
Schwimmzügen den festen Grund zu verlassen. Wie oben schon erwähnt, hatten
wir keine Aufsicht und erst recht keinen Schwimmlehrer, so dass wir uns
das Schwimmen selbst und mit Freunden in elementarer Form beibrachten. Das
heißt, es begann mit dem sogenannten „Hundepaddeln“, dem Schwimmstil, der
fast allen Landtieren schon in die Wiege gelegt wird, nur leider den
Menschen nicht. Aber immerhin war es am leichtesten zu erlernen, auch wenn
die dabei erreichte Geschwindigkeit sehr gering war. Mit dem ersten
Hundepaddeln ging es dann auch gleich zu den Begrenzungspfosten, die im
fortgeschrittenen Stadium frei schwimmend umrundet wurden. Dann folgten
Ausflüge in den Schwimmerbereich, und die Reifeprüfung hatte schließlich
bestanden, wer es wagte, den gesamten See zu durchschwimmen. Bis dahin war
es aber erforderlich, das sehr viel schwierigere Brustschwimmen zu
erlernen. Aber auch das schafften wir. Das Hundepaddeln war übrigens der
Schwimmstil, der mir in einem Winter das Leben rettete (siehe „Eisgang“).
Das Schwimmen war aber nur eine der Badefreuden. Wir
spielten Handball im brusthohen Wasser des Nichtschwimmerbereichs, warfen
uns Bälle aufs (imaginäre) Tor und hechteten danach. Wir gruben parallele
Rinnen in den abschüssigen Badehang und ließen selbst geknetete Sandkugeln
im Wettbewerb durch diese Rinnen laufen. Dabei bestand die
Hauptschwierigkeit darin, den Sand zu haltbaren Kugeln zu formen, die das
Rollen durch die gegrabenen Kanäle auch überstanden (was nur selten der
Fall war).
Und wenn jemand einen geeigneten Ball mithatte, was
keineswegs selbstverständlich war, spielten wir Fußball oder „Köppen“ auf
dem oberen, fast waagerechten Teil der Badeanstalt. Fußball ist jedem
geläufig. Es wurden zwei Mannschaften gewählt (die Wahl war meist schon
entscheidend für den Spielausgang), manchmal auch einfach festgelegt, und
dann zwischen zwei durch Zweige oder Sandhaufen markierte Tore um den Sieg
gespielt.
Beim „Köppen“ gab es immer nur 2 oder 4 Teilnehmer. Es wurden zwei Tore im
Abstand von 4-5 m markiert und jetzt im Wechsel versucht, den
hochgeworfenen Ball per Kopf ins gegnerische Tor zu befördern.
Wir machten auch Wettrennen um den gesamten See herum
und, das soll nicht verhehlt werden, schielten später auch ein bisschen
nach den Mädchen und versuchten, denen durch alle möglichen Angebereien zu
imponieren. Klappte nicht immer, und ich kann mich erinnern, dass ich
(immer und überall der Kleinste und Schwächste, aber mit großer Klappe)
von einem Mädchen meiner eigenen Schulklasse im Nichtschwimmerbecken
solange untergetaucht (gedükert) wurde, bis ich Wasser schluckte und mich
hinterher übergeben musste. Dabei war die Atemnot und Angst unter Wasser
schon schlimm genug, aber das Schlimmste war die Demütigung, einem -
gleichaltrigen – Mädchen so hoffnungslos unterlegen zu sein.