Ostseetour - Russland und Finnland
Samstag, 23.06.2007 Rakvere - Kingisepp (Russland), 149 km
Am nächsten Morgen bin ich ganz früh auf den Beinen, denn es erwartet
mich nicht nur eine lange Strecke, sondern auch der Grenzübergang nach
Russland und evt. Hotelkomplikationen in Kingisepp. Um 06.30 Uhr rolle ich
bereits Richtung Narva, der estnischen Grenzstadt, die ich schon um 13.00
Uhr erreiche. Die Grenze wird hier durch den gleichnamigen Fluss gebildet,
an dessen Ufer in Narwa die Hermannsfeste und im russischen Ivangorod die
Ivangorod-Burg dräuen. Das Bild dieser beiden wuchtigen grauen Burgen, die
hier nur allzu deutlich den Grenzcharakter betonen, habe ich bei der
Vorbereitung der Reise im Internet gesehen. Doch hier sehe ich erst einmal
gar nichts - der Blick auf den Fluss ist durch die Bebauung versperrt. Der
Weg zum Grenzübergang führt zu einem großen Platz, an dessen Ende die
estnischen Kontrollgebäude liegen. Ich werde über den Weg für Fußgänger
geschleust, die auch auf estnischer Seite sehr genau kontrolliert werden.
Dann geht es Richtung Narvabrücke, auf der die Festungsanlagen in Sicht
kommen. Ich zücke bereits meinen Fotoapparat, als mich eine Frau darauf
aufmerksam macht, dass ich hier nicht fotografieren dürfe, das sei erst auf
der russischen Seite! erlaubt. So bleiben mir Fotos der imposanten Kulisse
verwehrt. Enttäuscht schwinge ich mich auf mein Fahrrad und fahre langsam
auf die Brücke, werde aber sofort von einem Grenzpolizisten gestoppt, der
mir irgendetwas erklären will. Ich ahne schon, dass es hier auch verboten
ist, die Brücke per Rad zu überqueren, stelle mich aber dumm und
zucke die Schultern. Aber der Beamte ist einigermaßen clever und führt mich
zu einem Schild, das ich übersehen hatte, auf dem in eindeutiger Weise das
Radfahrverbot steht. Also wandere ich zu Fuß über die Brücke, und als ich
dann an der russischen Kontrollstelle die Formalitäten inkl. Ausfüllen des
kleinen Begleitzettels erledigt habe, bin ich tatsächlich in Russland.
Blick auf die Festung Ivangorod von russischer Seite inkl. Grenzabfertigungshäuschen im Vordergrund
Spannung kommt auf - wie wird es in Russland laufen? Wie komme ich mit der kyrillischen Schrift klar? Die Hotelfrage in Kingisepp
ist noch ungeklärt - also gleich weiter. Veränderungen sind zunächst nicht spürbar, doch nach dem Verlassen von Ivangorod wird die Straße schlechter.
Sie ist zwar noch relativ breit, aber die Seitenränder sind nicht mehr so in Ordnung wie noch in Estland, und Fahrbahnbegrenzungen fehlen. Der
Verkehr ist sehr dünn. Beiderseits der Straße breitet sich Busch- und Wiesenlandschaft aus. Erleichterung, als ich die ersten Verkehrsschilder
sehe. Die Beschilderung ist hier an der Hauptstraße in kyrillischen und lateinischen Buchstaben, so dass ich mir während der Fahrt sogar das
kyrillische Alphabet weiter einprägen kann.
Nach Kingisepp sind es nur noch 20 km. Kurz vor der Ortschaft ein bunter Fleck in der Landschaft. Von weitem sieht es aus wie ein großes Blumenfeld.
Als ich näherkomme, erkenne ich, dass es ein Friedhof ist.
Friedhof bei Kingisepp
Ganz anders als unsere Friedhöfe. Offen, ohne sichtbare Gräbergrenzen und mit jeder Menge bunter Blumen wirkt er, wenn man das von
einem Friedhof so sagen darf, richtig lebendig. Ich glaube, auf so einem Friedhof liegt es sich angenehmer als auf den unseren, wo man
schon vor der Würde des Ortes im Grabe erstarrt.
Wenig später fahre ich in Kingisepp ein. Am Ortseingang ein martialisches Denkmal mit einer Kanone, das an den 2. Weltkrieg erinnert. So ganz ernst
scheint das auch hier nicht mehr genommen zu werden, denn es spielen Kinder darauf. Der Ort macht insgesamt einen etwas heruntergekommenen Eindruck,
aber nicht so sehr. Es gibt einige sehr schöne alte Häuser, die aber nicht so toll renoviert sind wie z.T. in den baltischen Staaten. Zum ersten Mal
erfahre ich, was es heißt, in Russland ohne Orientierungshilfen zu sein. Ich frage nach dem Hotel Komfort, aber entweder werde ich nicht verstanden
oder man kennt das Hotel nicht. Leicht genervt lande ich schließlich auf dem Busbahnhof, wo ein paar Taxis stehen. Ich spreche einen Taxifahrer an
und frage nach dem Hotel Komfort. Nach mehreren Versuchen versteht er und versucht nun seinerseits, mir den Weg zu erklären. Das wird nichts. Ich
schlage ihm schliesslich vor, voraus zu fahren und will ihm folgen und die Fahrt anschließend ganz normal bezahlen. Aber das versteht er nun auch
wieder nicht und erklärt wort- und zeichenreich, bis es bei mir funkt: an der dritten Ampel soll ich nach rechts abbiegen und bis zum Ende der Straße
fahren. Na bitte, das ist doch was.
Also fahre ich, biege bei der dritten Ampel ab und bin auf einem Sandweg mit Löchern, die an eine Baugrube erinnern. Tapfer fahre ich bis zum Ende,
aber bis auf ein verlassenes, altes Fabrikgebäude mit einem angebauten Wohnblock sehe ich nichts. Also wieder zurück zur Abzweigung. Vielleicht
habe ich die Ampeln verkehrt gezählt. "Glücklicherweise" ist dort gerade ein kleine Auffahrunfall passiert und die Polizei vor Ort. Wieder beginnt
ein spannendes Wörter-Ratespiel, in dem mir der eine Polizist beteuert, dass es am Ende der Straße wirklich ein Hotel gebe. Also nochmal zurück.
Wieder nur die Fabrik und das Wohnhaus - wohl für die dort ehemals Beschäftigten. Vielleicht ist das ja umgebaut. Also rund um das Gebäude gelaufen,
aber da ist nur Zaun und ein einziger schmaler Zugang, der zu den Wohnungen führt. Das kann es nicht sein; vielleicht das Fabrikgebäude? Ich sehe nur
eine nackte Stahltür; das sieht wahrhaftig nicht nach Hotel aus. Aber nun bin ich schon mal da, deshalb abgestiegen und probiert - tatsächlich, die
Tür ist nicht verschlossen. Ich gehe hinein und stehe in einer großen Fabrikhalle, völlig leer und verlassen. Enttäuscht will ich die Tür
schließen, als ich vorne links eine weitere Tür sehe und ein Geräusch höre. Ich gehe hinein und finde eine junge Frau, die in einer Art Büro sitzt. Wieder
beginnt ein lebhafter Wortwechsel, aus dem ich schließlich heraushöre, dass irgendeine Verwaltung eine Treppe höher sitzt. Sie weist auf die hinterste
Ecke der Halle, wo ein Gang einmündet und zeigt nach oben. Ich hole mein Fahrrad in die Halle und bitte sie, darauf zu achten. Dann gehe ich durch
die Halle in den Gang, an dessen Ende wieder eine nackte Stahltür ist. Sie führt zu einer Treppe, die kurz vor dem Abriss zu sein scheint. Ich gehe
sie hinauf - wieder eine Stahltür, aber sie ist verschlossen. Ohne große Hoffnung gehe ich eine weitere Treppe hinauf; eine weitere Stahltür. Sie
lässt sich öffnen, und ich stehe in einem provisorisch hergerichteten Flur mit einem Schreibtisch, an dem eine zweite junge Frau sitzt. Ich bringe
mein Anliegen vor, und siehe da - es ist das gesuchte Hotel und ich stehe am "Empfang". Von meinem Reisebüro hatte ich den Zimmerpreis von 1.000
Rubel (umgerechnet ca. 30 €) genannt bekommen, hier werden jetzt aber 2.000 Rubel gefordert, was mir angesichts der Situation absolut überteuert
vorkommt. Als ich den ursprünglich genannten Preis geltend mache, wird mir erklärt, dass es sich dabei um ein Einzelzimmer ohne fließend Wasser und
Toilette handelt. 2.000 Rubel koste die "Suite". Ich habe keine Lust, in diesem merkwürdigen Hotel auf der Suche nach einer Toilette umherzuirren
und nehme die Suite. Zwei Zimmer mit einer relativ neuen Einrichtung im Stile der 50'er Jahre. Nur die Dusche ein brandneues Modell mit Düsen von
allen Seiten, die ich sogleich mit Beschlag belege. Leider kein Happy End, sondern ein ganz mickriger Wasserstrahl, der sich nur von oben nutzen lässt.
Nach dieser Enttäuschung will ich wenigstens essen gehen. Ich mache mich auf den Weg, laufe endlose Wege, finde aber nichts, was auch nur annähernd
nach Restaurant aussieht. Und noch einmal in die Wort-Zeichensprache einzusteigen, habe ich keine Lust mehr. Deshalb gehe ich schließlich in den
nahegelegenen "Supermarkt" und kaufe mir mein Abendbrot. Der "Supermarkt" besteht aus einer langen Baracke, in der Verkaufsstände mit diversen
Lebensmitteln stehen, alle mit Personal bestückt und der Selbstbedienung entzogen. Der lebhafte Betrieb zeigt mir, dass die Leute in den Wohnblocks
ringsum hier normalerweise einkaufen. Ich finde nichts, was meine Sinne erfreuen könnte; im Gegenteil, der Fleischstand verbreitet einen
unangenehmen Geruch, der mich schnell vertreibt, und auch die anderen Stände bieten nur billigste Qualität und keinerlei Gaumenfreuden. Da ich
aber Hunger habe, kaufe ich etwas Wurst und Brot und gehe zum Getränkestand, um Mineralwasser mitzunehmen. Die Auswahl ist überraschend
groß. Ich suche nicht lange, sondern nehme das erstbeste. Die Verkäuferin scheint überrascht zu sein und fragt nach, ob ich wirklich dieses
Mineralwasser haben will - das hätte mich warnen sollen. Aber ich mache mir keine Gedanken und zahle (einen Spottpreis) . Im Hotel angekommen, nehme
ich einen ersten Schluck, der aber zugleich der letzte ist. Das Wasser stinkt und schmeckt fürchterlich nach Chlor. Es ist einfach ungenießbar.
Auch die mitgebrachte Wurst ist von ganz schlechter Qualität.
Mir ist die Lust vergangen, mich weiter in dieser Stadt umzusehen, und ich beschäftige mich deshalb damit, mir weiter russische Vokabeln einzupauken
und das kyrillische Alphabet in den Griff zu bekommen, bis mir die Augen zufallen.
Sonntag, 24.06.2007, Kingisepp - St. Petersburg, 130 km
Am Morgen will ich frühstücken, aber offensichtlich hat die Empfangsdame mit solch ausgefallenen Wünschen
nicht gerechnet. Sie braut sich gerade selbst einen Kaffee, erklärt sich aber
erfreulicher Weise bereit, auch für mich einen zu kochen. Zu essen bietet sie mir 2
Weißbrotscheiben in Baguettegröße mit billiger Wurst / Käse an einem Tisch an, der noch in dem nicht renovierten Teil der ehemaligen Fabrik steht. Ich
komme mir vor wie ein Bauarbeiter in der Frühstückspause. Als ich diese ungastliche Stätte schließlich verlasse, bin ich heilfroh, wieder auf
meinem Fahrrad zu sitzen und bei herrlichstem Wetter Richtung Petersburg radeln zu können.
Die Straße ist weiterhin breit und nicht sehr befahren, aber trotzdem wird es nichts mit einer gemütlichen Tour. Sobald ich bei nahendem Verkehr zur
Seite ausweichen muss, komme ich in den Randbereich mit geradezu sensationellen Schlaglöchern von bis zu 30 cm Tiefe. Da heißt es, sich zu
konzentrieren, denn sonst kann so ein Schlagloch die Fahrt unversehens beenden.
Der Reinfall mit dem Mineralwasser hat dazu geführt, das ich nichts zu trinken habe, und als nach ca. 50 km endlich eine "Bar", genauer gesagt,
ein Kiosk am Straßenrand auftaucht, bin ich hinreichend durstig. Beim Getränkekauf werde ich von einem älteren Russen in ein Gespräch verwickelt.
Nach der gestenreichen Unterhaltung über Woher und Wohin fragt er mich, ob ich nicht Angst vor "Banditi" hätte. Das kann ich nun wirklich getrost
verneinen. Wenn zu Beginn der Reise noch gewisse Ressentiments hinsichtlich der Sicherheit auf polnischen, estnischen und russischen Straßen bestanden,
genährt durch warnende Hinweise im Internet und von ostlanderfahrenen Freunden und Bekannten, kann ich jetzt sagen, dass ich mich nirgendwo in
irgendeiner Weise gefährdet gefühlt habe. Sicherheit war während der gesamten Fahrt überhaupt kein Thema! Wie oft habe ich an der Strecke gerade
in Estland und Russland einzelne Frauen mutterseelenallein an ortsfernen Bushaltestellen gesehen - das wäre bei uns kaum denkbar. Im übrigen sind
diese Bushaltestellen, die überall an der Strecke zu finden waren, nicht gerade einladend. Verdreckt, mit Scherben und Müll verschmutzt und
z.T. auch mit durchdringendem Uringeruch behaftet, waren sie keine Zierde für die Straßen.
Auffallend am Straßenrand mehrfach große Fahrzeugrampen, wie man sie sonst nur in Autowerkstätten findet. Ich nehme an, dass sie irgendwann mal aus
militärischen Gründen gebaut worden sind, um schnelle Reparaturen von Militärfahrzeugen zu ermöglichen.
An der Strecke nur wenige kleinere Ortschaften, so dass ich meine Fahrt ohne Unterbrechnung fortsetze, bis kurz nach Mittag das Ortsschild von St.
Petersburg in Sicht kommt.
Das Ortsschild von St. Petersburg mit der typischen Doppelbeschriftung
Wie groß die Stadt mit ihren mehr als 5 Mio. Einwohnern ist, merke ich schon bald, als ich weiter fahre. Mehr als 25 km
Fahrtstrecke liegen noch vor mir, bevor ich in das Zentrum gelange. Unterwegs ein parkartiges Gelände mit einer großen Liegewiese mit vielen
Sonnenhungrigen. Im Gegensatz zu vergleichbaren Anlagen in unseren Städten gibt es hier keine Nackten - alle Frauen tragen Oberteil. Die Zufahrt ins
Zentrum führt z. T. an riesigen Wohnblocks vorbei, richtige Schlafstädte. Der Verkehr wird dichter, ohne irgendwelche Nischen für Radfahrer - das ist
schon nervig. Der Personentransport wird hier überwiegend mit Mini-Bussen abgewickelt, die nach einem undurchschaubaren System die
Menschen am Straßenrand aufnehmen. Sie sind überall, und das System scheint zu funktionieren.
In einem Restaurant in der Innenstadt mache ich eine Pause, bestelle zu essen und zu trinken. Die Rechnung braucht keinen Vergleich mit unseren
Restaurants zu scheuen. St. Petersburg ist nicht billig. Am Eingang ein Aufpasser, der einen älteren Mann zurückweist, der wohl nicht den
Ansprüchen des Lokals genügt. Ich ärgere mich darüber und fahre bald weiter.
Nach einigem Umherirren finde ich mein Hotel (Azimut), ein relativ neues Hochhaus am Rande des Zentrums. 14 Stockwerke mit großer Empfangshalle ,
englisch sprechendem Personal, eigener Wechselstube, Internet-Office u.a. Aber ein Radfahrer ist ganz offenbar nicht der typische Hotelgast.
Immerhin, für 50 Rubel (ca. 1,40 €) darf ich mein Fahrrad im Gepäckraum abstellen. Mein für 100 € vorbestelltes Zimmer liegt im 11. Stock und
bietet eine schöne Aussicht auf die malerische Innenstadt.
Blick vom Hotel Azimut auf St. Petersburg
Der Blick inspiriert mich, mir für den nächsten Morgen eine Besichtigungsroute festzulegen, und ich bedauere erstmals, nicht mehr
Zeit für die Erforschung dieser faszinierenden Stadt eingeplant zu haben.
Aber erst einmal versuche ich wieder, Handy-Verbindung nach Deutschland aufzunehmen, doch es klappt wieder nicht. Auch am Hoteltelefon scheitere
ich. Ich muss erst zum Empfang runter - irgendeine Freigabe ist erforderlich. Aber dort steht eine Schlange. Als ich mich schließlich
vorgearbeitet habe, werde ich an einen anderen Schalter mit einer weiteren Schlange verwiesen. Das reicht mir - also zum Internetbüro und eine Mail an
meine Töchter abgesetzt, die meine Frau informieren sollen.
Montag, 25.06.2007, St. Petersburg - Roschino, 92 km
Nach der Enttäuschung in Kingisepp gehe ich am nächsten Morgen erwartungsvoll in den Frühstücksraum. Aber das Frühstücksbüfett ist kaum
Mittelmaß. Es wimmelt zwar von Bedienung, aber Art und Qualität der Speisen sind wie während all meiner Russlandtage sehr mäßig. Doch die
Stadtrundfahrt durch die wunderschöne Petersburger Innenstadt entschädigt mich - Kirchen, Paläste, Denkmäler, aber auch die vielen, gut erhaltenen
Wohnhäuser bieten ein herrliches Bild, und in mir wächst der Gedanke, dass dieses nicht der letzte Besuch in St. Petersburg gewesen ist, sondern dass
ich irgendwann einmal mir alles in Ruhe ansehen möchte - besonders die Eremitage und das Bernsteinzimmer haben es mir angetan.
Vor dem Winterpalast (heute Teil der Eremitage) bitte ich einen Japaner aus einer Besuchergruppe, mich zu fotografieren. Er geht geradezu begeistert zu Werk und macht gleich mehrere Bilder.
Der Autor vor dem Winterpalast in St. Petersburg
Ich fahre weiter über die Newa und komme zur Peter-Pauls-Festung, 1703 durch Zar Peter I. auf einer kleinen Insel zum
Schutz gegen die Schweden gebaut. Auf
der Zufahrt werde ich ausgebremst - nein, Radfahren ist nicht erlaubt - ich muss schieben.
Blick über die Newa auf die Festung
Ich muss mich in meinen Foto-Aktivitäten beschränken - überall bieten sich neue Motive. Diese Stadt lohnt wirklich eine intensivere Entdeckungstour,
als ich sie vornehmen konnte.
Blick auf die Admiralität
Etwas bedauernd nehme ich dann langsam die Tagesroute in Angriff. Die Ausfahrt aus der Stadt Richtung Norden ist schnell gefunden, und bald
befinde ich mich wieder auf einer autobahnähnlichen Strecke mit viel Verkehr und wenig Ausweichmöglichkeiten. Das nervt und ist auch nicht ganz
ungefährlich. Erst kurz vor Sestrorezk komme ich runter von der Straße und finde überraschender Weise einen schönen Radweg, der mich unmittelbar
entlang der Ostsee führt. Der Fluss Sestra, der dem Ort den Namen gibt, bildete übrigens bis zum Jahr 1940 die Grenze zwischen Russland und
Finnland, die ja heute 100 km weiter nördlich verläuft. Was für uns Ostpreußen ist, ist für die Finnen Karelien!
Sestrorezk und dem nachfolgenden Selenogorsk merkt man die Nähe zu St. Petersburg an. An der Straße tauchen immer wieder pompöse Villen auf, wohl
in erster Linie Besitz der Petersburger High Society. Auffallend dabei die hermetische Abriegelung nach außen durch mannshohe Mauern. Der sich auf der
ganzen Strecke hinziehende Sandstrand ist menschenleer.
Dann geht es weg von der Küste Richtung Roschino. Das - vorgebuchte - Hotel Raivola ist schon kilometerweit vor dem Ort ausgeschildert. Doch in
Roschino selbst wird die Beschilderung schlechter, so dass ich doch wieder fragen muss. Schließlich finde ich die aus mehreren Häusern bestehende
Hotelanlage etwas außerhalb von Roschino in einem Waldstück. Die Zufahrt ist durch eine Schranke mit Wachtposten versperrt, der mich aber
anstandslos durchlässt, als ich nach dem Hotel frage. Es hat zu regnen begonnen - mein erster Regen auf der Tour, deshalb bleibe ich im Hotel und
versuche zunächst wieder, Verbindung nach Hause zu bekommen, denn inzwischen habe ich mich schon 3 Tage nicht mehr telefonisch melden können.
Per Handy wieder Fehlanzeige, deshalb ins Hauptgebäude zum Empfang. Die beiden jungen Frauen dort sind nun auch nicht gerade Vermittlungsprofis,
aber hilfbereit und gut gelaunt, so dass die unvermeidlichen Fehlversuche von Gelächter begleitet werden. Schließlich schaffen sie es doch noch, die
richtige Kombination zu finden, und ich kann tatsächlich mit meiner Frau telefonieren, die sich schon größte Sorgen gemacht hat. Der Fernseher in
der Hotelhalle bringt derweilen die russische Ausgabe des Taxi-Quiz.
Dienstag, 26.06.2007, Roschino - Vyborg, 80 km
Als ich aufwache, regnet es in Strömen - ein richtiger Landregen. Ich stelle fest, dass ich die falsche (weil wasserdurchlässige) Regenjacke
eingepackt habe und greife zu meinem Regencape. Was ich nicht bedacht habe, ist die Kälte. Die Temperaturen sind über Nacht radikal heruntergegangen,
und der Regen ist eiskalt. An richtig warmen Sachen habe ich nur einen Pullover dabei, aber Hände und Füße sind ungeschützt und eiskalt. Ich wähle
deshalb bewusst die "Autobahn", um mein Ziel Vyborg möglichst schnell zu erreichen. Heute kommt das Wasser nicht nur von oben, sondern auch von
unten und von der Seite, wenn die LKW's an mir vorbeidonnern. Ich trete richtig in die Pedalen, um mich warm zu halten, und hoffe inständig,
in Vyborg ein Hotel zu finden. Bereits weit vor der Stadt ein Hinweisschild; es führt mich zunächst nach Vyborg hinein, kein schönes
Stadtbild, wo ich mich verfahre und kurzzeitig von einem kläffenden Straßenköter begleitet werde. Dann ein Kiosk, in dem ich mich aufwärme. Ich
bestelle die obligatorische Suppe und bedeute der Bedienung verstohlen, sie möge mir doch das Gleiche bringen wie dem Mann am Nebentisch. Es kommt ein
Gericht mit Graupen, Möhren-/Kohlsalat und einem undefinierbaren panierten Stück - ja, was ist das; Fleisch auf jeden Fall nicht. Wahrlich keine
kulinarische Offenbarung, aber auch wieder nicht so schlecht, dass es nicht zu essen wäre. Auf jeden Fall ist mir nach der Mahlzeit wieder warm, und
ich mache mich bei abtrocknender Straße auf die weitere Suche nach dem Hotel. Sie führt mich wieder aus Vyborg hinaus in waldiges Gelände.
Schließlich stoße ich nach ca. 3 km auf einen einzelnen, ziemlich heruntergekommenen Wohnblock, an den eine Art Baracke angebaut ist. Meine
Erfahrungen aus Kingisepp sagen mir: hier muss es sein! Und tatsächlich, der Eingang der Baracke ist der "Hotel"-Eingang. Ich bekomme ein Zimmer
ohne Waschgelegenheit und Toilette unmittelbar neben dem Empfang, habe damit aber keine Probleme, weil das alles unmittelbar neben dem Zimmer
liegt und ich offenbar der einzige Gast (im einzigen Zimmer?) bin. Interessanterweise ist hier alles zweisprachig russisch und finnisch
geschrieben - ein Hinweis auf die ehemalige Zugehörigkeit dieses Gebiets zu Finnland!? Meine entsprechende Frage an die Empfangsdame stößt auf
Unverständnis.
Mittwoch, 27.06.2007, Vyborg - Savitaipale (Finnland), 109 km
Das Wetter hat sich gebessert, aber gelegentliche Schauer kommen doch wieder hoch. Auf dem Weg zur Grenze ist die Hauptverkehrsstraße mit ihrem
LKW-Verkehr - es fahren kaum PKW's - wieder unvermeidlich. Das Gelände steigt an und wird etwas hügelig. Seitlich mehrfach Sumpfgelände, das mir
wie Hochmoor aussieht, z.T. sehr malerisch. 10 km vor der Grenze dann die erste Kontrollstelle, deren Beamte mich Exoten nur flüchtig kontrollieren
und mit größter Belustigung abfertigen. Im eigentlichen Grenzverlauf dann 3 weitere Kontrollen. Die letzte ist die eigentliche Passkontrolle, bei der
ich auch den Durchreiseschein von der Einreise abgeben muss. Die kontrollierende Beamtin schaut in meinen Pass und dann auf mich und sagt
irgendetwas auf russisch. Ich zucke die Schultern. Sie kramt mühsam ein paar Worte Englisch zusammen: "That's not your passport!" Doch, sage ich,
das ist mein Pass!. "That's not your passport!" wiederholt sie, und noch ein drittes Mal. Ich antworte gar nicht mehr, schaue sie nur an und bin
sehr gespannt, wie es weiter geht. Sie greift zum Telefon und spricht mit irgendjemandem. Dann sieht sie wieder auf mich und auf den Pass:
"That's not your passport!" Ich würde ihr gerne sagen, dass ihre Aussage durch die ständigen Wiederholungen nicht richtiger wird, aber das lässt
schon die Sprachbarriere nicht zu, also antworte ich wieder: "That's my passport!" Sie telefoniert wieder, ein weiterer Beamter kommt. Er
sieht meinen Pass an, sieht mich an, spricht mit ihr und lässt sie offensichtlich genau so ratlos zurück wie vorher. "That's not your
passport!" wiederholt sie fast schon flehend, und ich muss ein Lächeln unterdrücken. Sie wendet den Pass hin und her, ist offensichtlich
unschlüssig, und nimmt schließlich einen Stempel und drückt ihn in den Pass. Ich darf weiter fahren und überlege, wie diese Situation wohl vor 20
Jahren ausgegangen wäre. Vermutlich hätte man mich erst einmal ein paar Tage festgehalten, um in aller Ruhe zu überprüfen, ob das tatsächlich mein
Pass war. Aber heute geht das wohl auch in Russland nicht mehr so ohne weiteres.
Auf finnischem Gebiet wird die Strecke noch hügeliger. Ich brauche eine Pause und finde ein Restaurant an der Strecke. Es wird von LKW-Fahrern frequentiert,
und das ist ja immer ein gutes Zeichen. Es ist ein Selbstbedienungsrestaurant. Ich stelle mir Essen und Getränke zusammen und
genieße den selbstverständlichen Luxus, den ich in Russland meist vermisst habe. Beim Bezahlen muss ich zunächst passen, denn mein Portemonnaie ist
noch mit Rubeln gefüllt, die erst einmal gegen Euro ausgewechselt werden müssen.
Auf der Hauptstraße geht es weiter bis Lappeenranta und dann auf eine Nebenstrecke, die mich durch das finnische Seengebiet führen soll. Als ich
Lappeenranta verlasse, merke ich, wie der Wind auffrischt. Er kommt jetzt aus nordwestlicher Richtung, mir schräg entgegen, und es ist ein eiskalter,
kräftiger Wind, der nach kurzer Zeit ebenso kalten Regen mit sich bringt. Mein Blick ruht nicht mehr auf der wunderschönen Seenlandschaft links und
rechts von mir, sondern tief über meinen Lenker gebeugt, sehe ich nur noch den Boden vor mir und versuche, dem Wetterunbill zu trotzen. Das Regencape
bietet wegen des Seitenwindes nur noch begrenzt Schutz, und außerdem bremst es die Geschwindigkeit stark, weil es dem Wind eine so große Angriffsfläche
bietet. Die auf der Karte so harmlos anmutende Straße wird zudem erschreckend hügelig mit zwar nur kurzen, aber um so steileren Anstiegen.
Die Fahrt wird zu einer echten Tortur, und ich weiß nicht, ob ich vor Kälte zittern oder vor Anstrengung schwitzen soll. Auf jeden Fall wird schnell
klar, dass ich unter diesen Bedingungen nicht die insgesamt 140 km bis zum angepeilten Ziel Riistina schaffen werde.
Der nächste größere Ort ist Savitaipale, und bis ich dort bin, bin ich durchgefroren und total kaputt. Glücklicherweise gibt es ein Hotel im Ort,
das ich dankbar annehme. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit bleibe ich lange unter der Dusche, bis sich die Lebensgeister wieder regen. Wenn das
hier im Norden so weiter geht, bin ich total falsch ausgerüstet. Da brauche ich ja direkt Wintersachen. Wenigstens mein Handy funktioniert wieder, so
dass ich nach Hause telefonieren kann.
Donnerstag, 28.06.2007, Savitaipale - Pieksämäki, 155 km
Über Nacht hat es aufgehört zu regnen, und der Wind hat auf südliche Richtung gedreht. Es ist noch nicht wieder so richtig warm, aber dennoch
gute Fahrbedingungen. Leider sind die Turnschuhe über Nacht nicht getrocknet, so dass ich anfangs kalte Füße habe, aber das gibt sich
schnell. Bei leichtem Rückenwind und flacher werdendem Gelände macht das Fahren wieder Spaß, und die zauberhafte, endlose Seenlandschaft lässt die Zeit wie im Fluge vergehen.
Einer von vielen Seeblicken im finnischen Seengebiet
Die fehlenden 40 km vom Vortage sind bald aufgeholt, und es wird heute eine richtig lange Etappe. Dass ich anschließend
kaputt bin, liegt weniger an der heutigen Tour als vielmehr an den Nachwirkungen von den Strapazen des Vortags.
In Pieksämäki finde ich ein schönes Hotel am See; und die nette Empfangsdame organisiert mir sogar einen Friseurbesuch für 20.00 Uhr. Bis
dahin kaufe ich ein, und finde wieder keine Ansichtskarten, die ich nun auch schon seit St. Petersburg suche. Als ich 10 Minuten vor der
vereinbarten Zeit an dem Friseursalon ankomme, ist die Enttäuschung groß. Der Laden hat bereits geschlossen. Ich bin schon wieder auf dem
Rückweg zum Hotel, als ich gerade noch mitbekomme, dass ein Auto vor dem Frisiersalon hält, eine Frau aussteigt und aufschließt. Tatsächlich, es ist
die Inhaberin, die für mich ihren Feierabend unterbrochen hat. Sie schneidet mir exklusiv die Haare, so dass ich hinterher gar nicht anders
kann, als ihr ein fürstliches Trinkgeld zu geben. An meinen Anblick muss ich mich aber erst gewöhnen, denn ich habe mir die Haare auf 5 mm kürzen lassen.
Freitag, 29.06.2007, Pieksämäki - Keitele, 135 km
Mein Hotel macht sich durch ein sehr schönes Frühstücksbüfett weiter bei mir beliebt - nur Eier können sie hier alle nicht kochen; die sind
wieder steinhart. Bis in die Mitte Schwedens muss ich warten, um endlich wieder ein schönes, weiches Frühstücksei zu bekommen. Die Fahrt geht weiter
durch das Seengebiet nach Norden und bietet einen schönen Ausblick nach dem anderen.
Stimmungsbild an einem finnischen See
Das ist hier die richtige Landschaft, um einmal "die Seele baumeln" zu lassen. Kein Wunder, dass mir alle Finnen so unaufgeregt,
ausgeglichen und gelassen vorkommen. Sie scheinen in sich zu ruhen wie ihre Seen und von der Hektik unserer Gesellschaft Welten entfernt zu sein.
Die Strecke wird wieder hügeliger und damit anstrengender. Ich habe meine Mütze abgesetzt, um die Sonne an die durch den Radikal-Haarschnitt
entstandenen weißen Stellen auf meinem Kopf heranzulassen, doch bald muss ich sie wieder aufsetzen. Der Himmel wird dunkel - ein Gewitter zieht auf,
und ich bin j.w.d. auf der Strecke. Kein angenehmer Gedanke, hier mutterseelenallein von einem Gewitter überrascht zu werden, und ich trete
kräftig in die Pedalen, um doch noch vor dem Unwetter eine Ortschaft zu erreichen. Es gelingt, und als sich die schweren Wolken prasselnd entladen,
stehe ich geschützt unter einem Hausdach. Doch auch bei der Weiterfahrt sind immer noch dunkle Wolken am Himmel, die mich antreiben und dafür
sorgen, dass ich total kaputt bin, als ich nach 135 km in Keitele ankomme. Ich schaffe es in meinem Hotel gerade noch unter die Dusche und zum Essen,
und falle bereits um 20.00 Uhr in den Tiefschlaf.
Samstag, 30.06.2007, Keitele - Sipola/Rosenberg, 155 km
Das Radfahren in Finnland ist wesentlich angenehmer als in Russland, weil es zumindest in der Nähe der Ortschaften gut ausgebaute und
beschilderte Radwege gibt. Und an Stellen, wo man auf der Straße fahren muss, ist immer ein genügend breiter Randstreifen, der von der eigentlichen
Fahrbahn abgetrennt ist. So habe ich immer ein sicheres Gefühl auf den finnischen Straßen.
Ich bin jetzt in der Mitte Finnlands und verlasse allmählich das Seengebiet. Nur der große Pyhäjärvi-See mit dem
gleichnamigen kleinen Städtchen liegt noch vor mir. Aber auch ohne den Blick auf die Seen mit ihrem klaren Wasser bietet die Landschaft dem Auge
reizvolle Ausblicke, Entspannung und Erholung.
Finnischer Radweg, von Lupinen gesäumt
Auf dem Fahrrad merkt man sehr deutlich, wie dünn Finnland besiedelt ist (ähnlich wie Russland und Estland), und so fahre ich
lange Strecken völlig allein, bevor in der Nähe der nächsten Ortschaft wieder etwas Verkehr aufkommt. Aber das war erwartet und ist eigentlich sehr schön.
Birkenwald-Idylle
Alles, was ich so an kleinen und größeren Problemen mit auf die Reise genommen hatte, ist mittlerweile von mir abgefallen,
zurückgeblieben wie die Länder, die ich durchfahren habe. Und nachdem jetzt auch klar ist, dass ich das vorgenommenen Pensum sicher bewältigen kann und
ich trotz der widrigen Sitzprobleme diese Reise zu Ende bringen werde, gibt es auch keinerlei neuen Druck, und ich fahre viel entspannter als zu Beginn
der Reise. Wenn ich ncht gerade tagträume, beschäftige ich mich mit der Landschaft, aber auch mit den Fahrtdetails, sehr oft auch mit der
jeweiligen Landessprache. Vorne auf meiner Lenkertasche liegt neben der Karte immer ein Blatt mit den gängigsten Begriffen, die ich mir einzuprägen
versuche. Das Zauberwort im Finnischen ist "Anteeksi - Entschuldigung", nach dem einem zumindest schon einmal zugehört wird. Viel mehr ist meist
gar nicht erforderlich, denn fast alle Finnen sprechen ein paar Brocken Englisch oder Deutsch. Wenn auf die Frage "Sprechen Sie Deutsch" die
Antwort kommt "ein bisschen", hat man schon gewonnen, denn das "bisschen" ist dann meist ziemlich perfekt. Angenehm am Finnischen ist auch, dass es
genau so gesprochen wie geschrieben wird, so dass man wirklich Begriffe abfragen kann, die man aus dem Wörterbuch geholt hat.
Es ist wieder warm geworden, und die Fahrt geht auf den hervorragenden Straßen und Wegen zügig voran, zumal auch fast Windstille herrscht und es
kaum Steigungen gibt. So bin ich sehr früh in dem eigentlichen Zielort Kärsämäki. Der Ort ist sehr klein und hat außer einer alten Kirche nicht
all zu viel zu bieten, so dass ich beschließe, weiter zu fahren. Das ist natürlich auch in Finnland ein gewisses Risiko, denn die Strecken ohne
Übernachtungsm glichkeit können sich schon über 30-40 km hinziehen. Aber nach 3 Wochen Radfahren und 2 1/2 -tausend Kilometern kann mich das
nicht mehr schrecken. Ich fahre schließlich noch 50 Kilometer, bis sich rechter Hand so eine Art Ferienhof anbietet. Ich beziehe dort ganz allein
ein Holzhaus, das für eine Großfamilie ausgelegt ist. Was mir sofort auffällt, sind die Fenster. Keines der Fenster lässt sich öffnen. Dafür ist
unmittelbar neben jedem Fenster eine ca. 30 cm breite Klappe, die man öffnen kann. Über dieses Zweitfenster kann man Frischluft einlassen,
allerdings gefiltert durch ein stabiles Fliegengitter. Wie sinnvoll diese Konstruktion ist, stelle ich sehr schnell fest. Die Bremsbeläge
meines Fahrrads sind nämlich schon ziemlich runter und ich beschließe, sie auszutauschen. Die Arbeit führe ich auf der Veranda des Hauses aus, sie
dauert etwa eine halbe Stunde. In dieser Zeit werde ich von mehr Mücken gestochen als sonst im Laufe eines ganzen Jahres. Also das ist der Haken!
Es ist das erste und einzige Mal auf der ganzen Tour, dass ich auf diese Weise mit der bekannten finnischen Mückenplage in Kontakt komme. Also, bei
aller Schönheit und Idylle der Landschaft: da sollte man sich schon ganz genau überlegen, wo und zu welcher Jahreszeit man dort Urlaub macht.
Sonntag, 01.07.2007, Sipola/Rosenberg - Oulu, 80 km
Ich habe nicht sehr gut geschlafen, denn außer mir hatten es leider auch ein paar Fliegen geschafft, die Doppeltürbarriere zu überwinden. Erst
als ich nachts um 3 Uhr eine wilde und erfolgreiche Fliegenjagd eröffnete, war endlich Ruhe.
Nach Oulu sind es nur noch 80 km, weil ich gestern ja weit über das ursprüngliche Ziel hinaus gefahren bin. Um 13.00 Uhr bin ich bereits in der
Heimatstadt meines finnischen Freundes Kari, der aber jetzt leider in Turku wohnt - zu weit weg von meiner Route und auch zu weit für ihn, mal eben
vorbei zu schauen. Ich weiß nicht, was andere Leute für Vorstellungen von einer Stadt haben, die nur so schlappe 150 km vom Polarkreis entfernt ist.
Ich liege mit meinen auf jeden Fall ziemlich schief. Irgendwie habe ich immer einen Ort erwartet, in dem sich ein paar Holzhütten quasi ständig vor
der Kälte ducken, Schlitten und Schneeräumgeräte neben jeder Tür auf ihren Einsatz warten und sich die Leute nur mit dicken Mänteln aus dem Haus wagen.
Aber wie auch später in Schweden bin ich auf das Angenehmste überrascht: ein offener, heller Ort mit sommerlich gekleideten Menschen, saubere
Straßen, schöne Häuser, Parkanlagen - wirklich: hier kann man leben! Da wundert es auch nicht mehr, dass diese
nördlichste Großstadt Europas mit ihren 130.000 Einwohnern heute ein Wellness- und IT-Zentrum Finnlands ist.
Oulu - das Rathaus
Ich mache einen Rundgang durch die Innenstadt und über den Markt am Hafen (mit jeder Menge Straßencafes rundum) und kaufe ein paar
Kleinigkeiten, die ich dann mit mittlerweile überflüssigen Karten und Ausrüstung zu einem Päckchen zusammenstelle, das ich am nächsten Morgen zur Post
bringen will. Im Hotel beschäftige ich mich noch mit Postkartenschreiben und gehe relativ spät erst um 22.30 Uhr ins Bett. Ich muss die
Fenstervorhänge zuziehen, weil die Sonne noch über den Dächern steht und mir ins Gesicht scheint.
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