Mit dem Auto rund um die Ostsee - 2019
Die Idee
Im Jahr 2007 habe ich in 38 Tagen die Ostsee per Fahrrad umrundet und bin dabei 4.800 km gefahren (siehe http://www.biallas.eu/Fahrrad/Ostseetour.html ). Bei dieser Fahrt habe ich eine Menge gesehen, musste aber auch eine ganze Menge links liegen lassen, um mein tägliches Pensum von mehr als 120 km zu schaffen.
Seitdem hatte ich immer im Hinterkopf, irgendwann einmal diese Strecke mit dem Auto zu wiederholen und dabei einiges nachzuholen, was ich 2007 versäumt hatte. Und das habe ich jetzt gemeinsam mit meiner Frau wahr gemacht.
Die Vorbereitung
Visum
Die wichtigste Voraussetzung für eine Fahrt, die auch durch Russland führt, ist ein Visum für den vorgesehenen Zeitraum.
Ein Touristenvisum wird für maximal 30 Tage ausgestellt. Da unsere Fahrt durch Russland selbst, aber vorher bereits durch die russische Exklave Kaliningrad führt, ist ein Visum für zweimaligen Gebrauch zu beantragen. Der Antrag ist an das russische Visa-Zentrum in Hamburg zu richten:
Kanalstrasse 14a , 22085 Hamburg
Telefon: 040-34859088
E-Mail: info.rushamburg@vfshelpline.com
Der Antrag bedarf folgender Voraussetzungen:
(Siehe https://russische-botschaft.ru/de/consulate/visafragen/touristenvisum/ )
Reisepass (mind. 6 Monate gültig)
Ausgefüllter Antrag
Biometrisches, aktuelles Passbild
Krankenversicherungsnachweis (für Auslandsaufenthalt)
Garantie der Rückkehrwilligkeit
Reisebestätigung des russischen Reiseveranstalters mit diversen Angaben.
(das kann auch eine entsprechende Bestätigung des gebuchten Hotels sein)
Die Visumskosten liegen bei 35 € pro Person; die normale Bearbeitungsdauer läuft bis zu 10 Tagen; in Einzelfällen bis zu 30 Tagen.
Wir haben statt dessen den bereits im Jahr 2007 genutzten Weg beschritten und die Visa über das Hamburger Reisebüro BalticTravel beantragen lassen, das natürlich eine – maßvolle – Bearbeitungsgebühr erhebt.
Baltic Travel
Arndtstr. 7
22085 Hamburg
049 4022739333
schimpke@baltictravel.de
Hier waren die Voraussetzungen wesentlich einfacher zu erfüllen.
(Siehe http://www.baltictravel.de/visum-fuer-russland.html )
Karten
Wer braucht heute noch Autokarten? Warum vertraue ich nicht einfach aufs Navi? Nun, schon zu oft bin ich mit dem Auto in Baustellen oder neu errichtete Straßen geraten, in denen das Navi keine Hilfe mehr war. Hinzu kommt, dass Russland nicht in meinem Navi vorhanden ist. Eine entsprechende Erweiterung der Navi-Karten hätte annähernd 100 € gekostet – und das für eine einmalige Durchfahrt?
Also muss auch Kartenmaterial her. Meine Karten aus 2007 sind eigentlich noch komplett, allerdings auf Fahrradentfernungen abgestellt und nicht mehr aktuell. Also habe ich mir Autokarten der gesamten Strecke im Maßstab 1:200.000 bis 1:400.000 besorgt. Das gelingt leider nicht für Russland – hier finde ich nur Karten im Maßstab 1:4 Millionen, die mir einfach nicht genau genug sind. Beibt nur eine alte russische Karte des „Oblast Leningrad“, also des Bezirks rund um St. Petersburg. Sie muss ausreichen, denn ich vertraue darauf, dass die einfache Strecke von der estnischen Grenze über St. Petersburg bis nach Finnland (ca. 330 km) zu keinen Problemen führen wird, zumal ich die Strecke ja schon einmal per Fahrrad gefahren bin – ein böser Fehler, wie ich im Nachhinein feststellen werde.
Unterbringung
Aus den Zeiten des Campings bin ich heraus, und auch Wohnwagen oder Wohnmobil können mich nicht zu Begeisterungsausbrüchen hinreißen. Für uns kommen nur Hotelbuchungen in Frage, die ich im allgemeinen über booking.com erledige. Für Russland ist offiziell eine Einladungsbestätigung erforderlich, die von dem jeweils gebuchten Hotel ausgestellt werden kann – insofern ist die Vorausbuchung eines Hotels für Russland Pflicht.
Ich habe alle Hotels bis zum Nordkap von zu Hause aus gebucht, danach jeweils immer 1-2 Tage im Voraus. Interessant ist dabei, dass man meist deutlich günstigere Konditionen erhält, wenn man auf eine kostenlose Stornierung verzichtet. Aber das ist natürlich riskant, denn ein Unfall oder eine Erkrankung kann schnell das Ende der Reise bedeuten – und man bleibt dann auf den nicht genutzten Hotelkosten sitzen.
Apropós Kosten: wir haben durchschnittlich 90 € pro Übernachtung im Doppelzimmer gezahlt, wobei die Kosten in den skandinavischen Ländern höher lagen als im Osten. Aber Touristen-Hochburgen wie Riga und St. Petersburg fordern auch dort ihren Preis.
Im übrigen habe ich mich bemüht, Übernachtungen in den gleichen Hotels zu buchen wie 2007 – das ist aber nur zum Teil gelungen. Eine Aufstellung der gebuchten Hotels enthält Anlage 1.
Das Auto
Unser 7 Jahre alter Opel Zafira hat die gesamte Strecke klaglos überstanden, wurde aber auch fahrtechnisch sehr geschont, denn in allen Ländern liegt die Höchstgeschwindigkeit auf Land-straßen bei 80 bzw. 90 km/h (Schweden 70 km/h) und auf Autobahnen / Schnellstraßen bei 100 bzw. 110, nur in Einzelfällen auch 120 km/h und 130 km/h (nur Dänemark). Das reduzierte natürlich den Verbrauch, und bei 5 Liter Diesel auf 100 km kam ich mit einer Tankfüllung locker 1.000 km weit.
Interessant war, dass wir trotz der niedrigen Höchstgeschwindigkeiten immer frühzeitig die gesetzten Ziele erreichten. Das liegt an der im Vergleich zu Deutschland sehr dünnen Besiedlung der durchfahrenen Länder. Relativ wenige Ortsdurchfahrten und ein sehr geringes Verkehrsaufkommen sorgten für ungebremstes Vorwärtskommen. Strecken von durchschnittlich 300 km konnten so problemlos in ca. 4 Stunden gefahren werden. Und das ohne jeden Stress durch Staus und dichten Verkehr: einfach den Tempomat auf 80 oder 90 km/h einstellen und den Wagen kilometerweit ohne jede Behinderung in dieser Geschwindigkeit rollen lassen.
Als Vorsichtsmaßnahme hatte ich mir zu der Reise eine DashCam in das Auto eingebaut. Aus verkehrstechnischen Gründen habe ich sie nie gebraucht. Wie ich überhaupt mit dem Fahren nirgendwo Probleme hatte. Selbst in der Millionenstadt St. Petersburg mit ihrem starken Verkehrsaufkommen lief es nicht anders als in Hamburg oder Berlin; lediglich die Verkehrsschilder in ihrer kyrillischen Schrift sorgten gelegentlich für Irritationen.
Die DashCam war trotzdem nicht nutzlos. Sie lieferte einige Bilder (z.B. von der Genzabfertigung), die ich sonst nicht hätte machen können. Und sie half mir über die gespeicherten GPS-Daten, die Fahrtstrecke exakt nachzuvollziehen.
Die Strecke
Wie bereits anfangs gesagt, haben wir uns mit unserer Autotour an der Fahrradtour 2007 orientiert, allerdings ergänzt durch einen Abstecher zum Nordkap, das ich seinerzeit aus Zeitgründen nicht mehr in den Streckenplan aufnehmen konnte. Wir sind insgesamt 7.100 km und dabei durch 11 Länder gefahren:
Polen
Russische Exklave Kaliningrad
Litauen
Lettland
Estland
Russland
Finnland
Norwegen
Schweden
Dänemark
Deutschland
Die Gesamtstrecke ist aus Anlage 2 ersichtlich, die einzelnen Stationen aus Anlage 1.
Wir hatten Mini-Wörterbücher aller Länder dabei, sind aber im Allgemeinen mit Englisch ganz gut durchgekommen, überraschenderweise auch in Russland - das war 2007 noch nicht so. Ein bisschen Probleme bereitete uns die kyrillische Schrift in Russland gerade beim Fahren, wenn nur wenig Zeit zur „Übersetzung“ zur Verfügung stand.
Die Fahrt
Mittwoch, 05.06.2019 / Ebstorf – Kostrzyn (Polen)
Der erste Tag führt über 380 km an Berlin vorbei in die polnische Grenzstadt Kostrzyn nad Odra (ehem. Küstrin), wo wir sehr preisgünstig im gleichen Hotel Bastion übernachten wie schon 2007.
Hotel Bastion in Kostrzyn
Die Stadt lebt offensichtlich von der Grenznähe (Küstriner Polenmarkt), bietet aber Besuchern auch mit ihrer Festung am Zusammenfluss von Oder und Warthe und dem Nationalpark Warthemündung touristische Ziele und hat sich seit meinem ersten Besuch offensichtlich deutlich weiter entwickelt. Ich tausche dort 200 € gegen Zloty ein. Als Faustregel bei der Umrechnung können Sie 1:4 nehmen – 1 € entspricht ungefähr 4 Zloty.
Donnerstag, 06.06.2019 / Kostrzyn – Chojnice (Polen)
Der zweite Tag bringt uns quer durch Polen über 300 km nach Chojnice (Konitz), dessen Sehenswürdigkeiten die Reste einer Stadtmauer, ein Stadttor (Museum), eine große Basilika und das schmucke Rathaus sind. Eigentlich wollte ich wie 2007 in dem 25 km entfernten Czersk übernachten; das dortige Hotel Roal reagierte aber nicht auf meine Online-Anfragen.
Auffallend auf der Strecke durch Polen die größeren Entfernungen zwischen den Orten und die lockere Bebauung. In den Ortschaften immer wieder Häuser im sozialistischen Grauputz, aber nicht mehr als ganze Straßenzüge, sondern nur noch vereinzelt.
Freitag, 07.06.2019 / Chojnice - Elblag (Polen)
Chojnice ist das Sprungbrett für die Fahrt nach Elblag (Elbing) am dritten Tag, Doch davor liegt die Marienburg in Malbork (Marienburg) an der Nogat (Mündungsarm der Weichsel), ein geschichtsträchtiger Bau, den wir uns unbedingt ansehen wollen. Die Dimensionen dieser im 13. Jahrhundert erbauten Ordensburg und Zentrale des Deutschen Ordens sind gewaltig. Sie ist der größte Backsteinbau Europas und Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Die folgenden Bilder geben nur einen kleinen Einblick in die imposante Kulisse dieser Burg.
Bilder der Marienburg an der Nogat
Die uns aus der Geschichte bekannte Schlacht bei Tannenberg im Jahre 1410 führte zu einer vernichtenden Niederlage des Deutschen Ordens gegen die vereinigten polnisch-litauischen Truppen, in deren Folge die Marienburg von den Siegern belagert wurde. Die Burg konnte jedoch gehalten werden.
Was die Belagerung nicht schaffte, wurde 1455 nach einer weiteren Belagerung auf kuriose Weise erreicht. Da der Hochmeister des Ordens sich in enormen finanziellen Schwierigkeiten befand und die zur Verteidigung der Burg eingesetzten Söldner nicht bezahlen konnte, verpfändete er sie an die Söldner. Diese hatten daraufhin nichts Eiligeres zu tun, als sie an den polnischen König zu verkaufen.
Die Marienburg ist heute für Besucher das ganze Jahr über geöffnet. Sie war für uns ein Highlight unserer Reise.
Nach mehrstündiger Besichtigung der Marienburg geht es weiter ins 30 km entfernte Elblag (ehem. Elbing). Die Stadt mit ihren ca. 120.000 Einwohnern liegt nur wenige Kilometer vom Frischen Haff entfernt. Die seinerzeit deutsche Stadt hat im 2. Weltkrieg schwere Stunden erlebt, wurde zu 60 % zerstört. Nach Kriegsende wurde sie den Polen übergeben und die verbliebene deutsche Bevölkerung vertrieben. Durch ihre Nähe zur Ostsee und ihre schöne Lage hat sich Elblag inzwischen gut entwickeln können. Die Innenstadt ist sehr schön, allerdings die Preise auch an den Tourismus angepasst.
Nur wenige 100 m von unserem Hotel (Hotel Elblag) entfernt liegt das archäologisch historische Museum der Stadt, das mit seinen realistischen Exponaten aus der Zerstörung der Stadt im 2. Weltkrieg beeindruckt.
Elblag (Elbing)
Stadtansicht
realistische Darstellung der Kriegszerstörungen im Museum
Samstag, 08.06.2019 und Sonntag, 09.06.2019 Elblag (Polen) – Kaliningrad (Russland)
Heute wird es spannend – der Grenzübertritt ins 110 km entfernte, russische Kaliningrad (Königsberg) liegt an. Als Radfahrer hatte ich seinerzeit überhaupt keine Probleme, die Grenze zwischen dem polnischen Braniewo (Braunsberg) und dem russischen Mamonowo (Heiligenbeil) zu passieren. Lediglich Pass und Visum wurden kontrolliert – das ganze Prozedere war im Nu erledigt. Das sollte sich aber hier und heute ändern.
Grenzkontrollstelle Mamonowo, fotografiert mit Dash-Camera
Der Grenzübergang ist nicht sehr frequentiert, aber dafür sind die Kontrollen sehr gründlich. Grundsätzlich können wir von mindestens 4 Kontrollstellen je Grenzübergang ausgehen – Passkontrolle Ausreise, Zollkontrolle Ausreise, Passkontrolle Einreise, Zollkontrolle Einreise. Daneben sind innerhalb Russlands und Kaliningrads bei der Ausreise noch kilometerweit vorgelagerte Kontrollstellen zu passieren, an denen aber nur eine relativ kurze Kontrolle der Pässe erfolgt. Die russischen Kontrollen sind wie erwartet die intensivsten, dabei liegt der - zeitliche – Schwerpunkt eindeutig bei der Zollkontrolle. Die meisten Probleme bereitet dabei das Ausfüllen der Zollerklärung .Dabei geht es in erster Linie um die „Einfuhr“ des PKW’s. Wer sein Auto nicht genau kennt, wird dabei ohne die Daten im Kfz-Schein nicht auskommen. Und er muss den derzeitigen Wert seines Fahrzeugs eintragen. Der wird allerdings nicht weiter hinterfragt – eine grobe Schätzung reicht als Eintrag aus.
Obwohl kaum Grenzverkehr ist, dauert der Durchlauf durch alle Stationen 1,5 Stunden – zum ersten Mal bin ich etwas genervt.
Die 50 km bis Kaliningrad sind schnell gefahren. Die Stadt präsentiert sich ziemlich schmucklos und mit einem relativ geringen Verkehrsaufkommen im Vergleich zu deutschen Städten der gleichen Größenordnung (470.000 Einwohner). Vorwiegend Fahrzeuge der Mittel-, Kompakt- und Kleinwagenklasse erkenne ich. Doch einen gravierenden Unterschied gibt es: wir sind ohne Navi-Unterstützung – leider! Und das Smartphone spielt auch nicht mit – kein Internet. Natürlich hatte ich mir die Hotelanfahrt zu Hause auf Google-Maps angesehen und auch skizziert, aber die russischen Straßennamen und Verkehrsschilder machen es nahezu unmöglich, sich während der Fahrt zu orientieren. Nach längerer Fahrt in der Stadt also Halt an einer Tankstelle. Ein netter Mechaniker der dazugehörigen Werkstatt erklärt mir in Englisch und mit Hilfe einer Skizze die Weiterfahrt zum Hotel „Radisson Blu“, von dem wir gar nicht mehr so weit entfernt sind. Hier bereits typisch und eigentlich auch für die gesamte Reise symptomatisch: wir finden überall sehr hilfsbereite Menschen, wenn wir in irgendwelchen Situationen nicht mehr weiter wissen. Auch größte sprachliche Probleme werden gestenreich und radebrechend überbrückt, notfalls werden wir sogar zum nächsten Orientierungspunkt geführt.
Die Dash-Kamera fängt unterwegs die prunkvolle russisch-orthodoxe Christus-Erlöser-Kathedrale mit ihren goldenen Kuppeln ein, eines der wenigen „Highlights“, das uns Kaliningrad bietet. Mit 73 m ist sie das höchste Gebäude Kaliningrads. Ihre Grundsteinlegung erfolgte 1996 im Beisein Boris Jelzins, die Einweihung im Jahre 2006 mit Wladimir Putin.
Die Christus-Erlöser-Kirche in Kaliningrad
Als wir am Nachmittag die Stadt erkunden, sind wir enttäuscht. Vielleicht suchen wir ja nicht an den richtigen Stellen, aber Kaliningrad kann uns nicht begeistern. Es ist schwer zu beschreiben; die Stadt macht auf mich irgendwie einen nichtssagenden Eindruck, praktisch, zweckmäßig, aber ohne großes ästhetisches Bemühen.
Da wir für Kaliningrad 2 Tage eingeplant haben, machen wir uns schon Gedanken, wie wir den zweiten Tag verbringen wollen, als die Hotelleitung anbietet, uns am nächsten Tag kostenlos zu einer touristischen Attraktion an die Ostsee zu fahren. Obwohl die Erläuterung dazu gar nicht richtig bei uns ankommt, sagen wir zu.
Es stellt sich heraus, dass es sich um den Besuch des Ostseebades Svetlogorsk (ehem. Rauschen) handelt, bevorzugtes Strandbad der Kaliningrader Bevölkerung. Nach einstündiger Fahrt werden wir dort abgesetzt – der Besuch des Ortes ist die versprochene Attraktion. Nun, wir gehen zum Strand, der zum größten Teil als Flaniermeile hergerichtet ist, fahren mit einer Gondel zum Steilufer hinauf, stöbern bei den fliegenden Händlern nach Interessantem und da uns nicht nach Baden der Sinn steht, sehen wir nichts, was uns zum weiteren Verbleib veranlassen könnte.
imposante Uferpromenade in Svetlogorsk (Rauschen)
So beschließen wir, nicht auf die spätere Abholung durch das Hotelfahrzeug zu warten, sondern setzen uns in den Regionalzug nach Kaliningrad (der Fahrkartenkauf klappt problemlos) und sind bei sehr angenehmer Fahrt genauso schnell in Kaliningrad wie mit dem Auto.
Montag, 10.06.2019 / Kaliningrad (Russland) – Nida (Litauen)
Die Ausfahrt aus Kaliningrad Richtung Kurische Nehrung finden wir ohne Probleme. 30 km Autobahnfahrt nach Selenogradsk, dem Einfallstor zur Nehrung, sind schnell geschafft. Im Ort selbst wird es dann schwierig, aber intuitiv und in vager Erinnerung an die Tour von 2007 gelangen wir tatsächlich auf den schmalen Landstreifen, der das Kurische Haff von der Ostsee abschneidet. Übrigens, so schmal die Nehrung auf der Karte auch aussieht – wenn man auf ihr entlangfährt, sieht man kein Wasser, sondern links und rechts nur Laubwald (Erlen!?).
Ca. 10 km hinter Selenogradsk die erwartete Vorkontrolle, wo wir aber nur kurz unsere Pässe vorzeigen müssen und schon nach 3 Minuten weiterfahren können.
Russische Vorkontrolle auf der Kurischen Nehrung
"Bremer Stadtmusikanten" (rechts) Aber wir haben ein anderes Ziel. Wir haben uns vorgenommen, Riga per Fahrrad
zu erkunden und buchen für den nächsten Tag eine Führung bei einem kleinen
Fahrradverleih, der diesen Service anbietet. Samstag, 15.06.2019 Riga (Lettland) – Häädemeeste (Estland)
Rakvere (ehem. Wesenberg) ist heute das Ziel, 100 km von Türi entfernt und
letzte Station vor der russischen Grenze. Auch hier hatte ich 2007
übernachtet, im Hotel Wesenbergh, einem preisgünstigen , ordentlichen Hotel.
Wir sind schon zur Mittagszeit da und beschließen, uns die Rakverer
Burganlage anzusehen, Burg Wesenberg, die
über der Stadt thront.
Grenz-Wartezone in Narva (Estland) Ich habe online einen Slot von 12:00 Uhr bis 13:00 Uhr gebucht. Wir lassen
uns Zeit mit dem Frühstück, sind aber trotzdem schon um 10:30 Uhr in Narva.
Die Wartezone ist schnell gefun-den. Wir fahren hinein und ich stelle mich in
der kleinen Schlange am Torhäuschen an. Es dau-ert eine Weile, bis ich dran
bin. Als ich meine Bestätigung der Slotbuchung vorzeige, bedeutet mir der
Pförtner, dass ich gleich in eine Wartespur vor der Ausfahrt fahren könne und
mich beim dortigen Torhäuschen melden solle. Das Tor bleibt geschlossen; stattdessen erscheint ein
Kontrollbeamter an der anderen Seite des Tors und bedeutet mir, neben das Tor
zu fahren. Die Spannung steigt. Ich zeige meine Slotbuchung vor. Die genügt
ihm nicht – er will eine Nummer von mir! Ich habe
keine Nummer und verweise erneut Mir fällt dabei
ein weit entferntes Gebäude auf, das alle Bauten rundum weit überragt und das
ich 2007
noch nicht gesehen habe. Das
Lakhta Center ist ein Gebäudekomplex der Gazprom, unmittelbar am Finnischen
Meerbusen gelegen, mit einem 462 m hohen Turm, seit 2018 der höchste
Wolkenkratzer Europas. Mittwoch, 19.06.2019 / St. Petersburg Die vorherrschenden Farben sind Gold, Weiß und Blau, an den Decken wunderbare
Gemälde – ein Raum schöner als der andere, manches vielleicht
ein bisschen zu schwülstig. Aber man kann sich der Faszination dieses – wie
soll ich sagen – Gesamtkunstwerks nicht entziehen.
Ärgerlich zudem, dass der Raum gedrängt voll ist mit Besuchern und das
Fotografieren verboten – so bleibt nur ein schneller Schnappschuss vom
Nachbarraum, der sogleich den Protest einer der allgegenwärtigen
Aufseherinnen hervorruft.
Winterpalast mit Thronsaal und Pfauenuhr Es ist schon sehr viel, was wir an diesem Tag an
Eindrücken verarbeiten müssen – nach ca. 2 Stunden zu viel. Wir beenden die
Führung und setzen uns erst einmal in ein Café, um bei Kaffee und Kuchen
alles sacken zu lassen und uns ein bisschen zu erholen.
Touristische Bootskette und Blick auf die Peter-Paul-Festung
Nach knapp 50 km Fahrt auf der geraden, schmalen und leeren Nehrungsstraße
erreichen wir dann die eigentliche Kontrollstelle, wo an der Zufahrtsschranke
eine recht attraktive junge Russin nur einen kurzen Blick auf unserer Pässe
wirft und uns dann weiter fahren lässt.
Dann weiter zum Kontrollplatz, wo 2 Wagen vor uns stehen. Als ich zum
Fotografieren ansetze, werde ich von der vor uns wartenden Russin darauf
hingewiesen werde, dass das hier verboten sei. Einen Augenblick später
kommt auch schon die Obrigkeit in Form einer ernst dreinschauenden Russin
- und ich lösche in Ihrem Beisein die Aufnahme. Die Kontrolle hier ist deutlich weniger intensiv als bei der Einreise,
insbesondere genügt hier ein Blick in den Fahrgast- und Kofferraum. Kein Unterbodenspiegel, keine Kontrolle des
Reservereifenraums. Alles in allem aber doch eine knappe halbe Stunde.
Russische Grenzkontrolle auf der Nehrung
Auf litauischer Seite wird dann die nette Russin mit Ihrer Familie vor uns
intensiv kotrolliert. Wir selbst hingegen werden im Schnelldurchgang
abgefertigt und können nach 5 Minuten die Fahrt fortsetzen.
Unser Tagesziel Nida (Nidden) ist nur noch 5 km entfernt. Hier werden wir 2 Tage in der
Pension unseres Hamburger Reisebüros verbringen und treffen dort auch gleich
auf den Chef, der hier Urlaub macht. Leider ist „Irma“ nicht mehr aktiv, die
alte Haushälterin, die nach dem Krieg in Litauen geblieben ist und die ich
nach ihrem Leben in der Nachkriegszeit dort befragen wollte.
Wir mieten uns vor Ort Fahrräder und machen uns auf den Weg zu der großen
Wanderdüne, Parnidis-Düne, die als Erstes auf unserem Programm steht. Nach
kurzer Fahrt erreichen wir den Fuß der Düne, stellen die Fahrräder ab und
machen uns über eine lange Treppe auf den Weg nach oben (ca. 50 m Höhe).
Die Düne ist schon immer mit Nidden verbunden – mehrfach musste der Ort
verlegt werden, weil die Düne ihn zuwehte.
Die Dichterin Agnes Miegel hat sie mit ihrer traurigen Ballade „Die Frauen
von Nidden“ unsterblich gemacht. Die Ballade finden Sie in
Anlage 3.
Auf der Parnidis Wanderdüne bei Nida (Nidden)
Vom höchsten Punkt der Düne hat man Blick auf die Ostsee und das von der
Nehrung umschlossene Haff. Auf den Zuwegen wird Bernstein in den
verschiedensten Variationen angeboten. Auch wir werden fündig und kaufen ein
schönes Stück aus zweifarbigem Bernstein, das seit der Rückkehr unseren
Esszimmertisch ziert.
Dienstag, 11.06.2019 Nida (Litauen)
Heute wollen wir uns Klaipeda (ehem. Memel) ansehen. Die 50 km dorthin nehmen
wir mit unseren gemieteten Fahrrädern in Angriff. Der Weg führt über einen
ausgeschilderten Waldweg, der sehr schön zu fahren ist, bis zur
Übersetzstelle zum Festland unmittelbar gegenüber Klaipeda. Als wir ankommen,
sind wir doch ein bisschen geschafft und froh, dass wir gleich auf die Fähre
kommen. Während der kurzen Überfahrt unterhalten wir uns, nehmen unsere
Fahrräder zeitig auf und verlassen das Schiff mit den meisten anderen
Reisenden. Doch wo entlang, um in die Innenstadt zu kommen? Wir fragen. Zum
anderen Ufer, wird uns bedeutet. Unsinn – das kann nicht sein; da kommen wir
gerade her. Wir fragen eine Frau, die gut englisch spricht. Zum anderen Ufer,
bedeutet sie uns. Aber da kommen wir doch gerade her und da ist bestimmt
nicht Klaipeda. Wir sind drüben eingestiegen und nach kurzer Überfahrt hier
ausgestiegen. Doch jetzt klärt sich das Ganze auf. Die Fähre ist nach der
Abfahrt gar nicht zum anderen Ufer gefahren, sondern hat eine zweite
Haltestelle am Nehrungs-Ufer, bevor sie auf die Klaipeda-Seite wechselt. Wir
sind also nur ein Stück am gleichen Ufer entlang gefahren und haben es im
Gespräch gar nicht bemerkt. Sehr ärgerlich, und das ganz besonders, weil wir
bis zur nächsten Fähre fast eine Stunde warten müssen. Damit kommt auch unser
Zeitplan ins Wanken, denn wir wollen ja den letzten Bus nach Nida noch
erwischen.
Das Ende vom Lied – Klaipeda hat uns auch auf dieser Tour nur bei der
Durchreise gesehen.
Mittwoch, 12.06.2019 Nida (Litauen) – Saldus (Lettland)
Heute geht es wieder über die Nehrung, aber dieses Mal mit dem Auto , zur
Autofähre nach Klaipeda und von dort entlang der Küste ins lettische Liepaja
(ehem. Libau), der drittgrößten Stadt Lettlands (76.000 Einwohner). Die
Grenze zwischen Litauen und Lettland bemerken wir gar nicht., Nach kurzer
Stipvisite in Liepaja mit Besuch des Wochenmarktes machen wir uns auf den Weg
nach Saldus (ehem. Frauenburg), dem Sprungbrett für die morgige Fahrt nach
Riga.
Südlich von Saldus (11.000 Einohner) liegt seit 1999 die größte
Kriegsgräberstätte deutscher Soldaten in den baltischen Staaten. Mehr als
22.000 deutsche Soldaten und verbündete lettische Soldaten wurden hier
beigesetzt.
Etwas schwierig wird es, unser Hotel Demians zu finden, da das Navi nicht
mitspielt, sondern uns in Sandwege bringt, die in keine Karte eingezeichnet
sind und uns schließlich zu einem falschen Ziel führen . Wir müssen wieder
auf die traditionelle Ortssuche umsteigen: „fragen“. Das klappt ganz gut,
aber als wir dann in die Straße kommen, in der unser Hotel liegt, bin ich
doch etwas erschüttert. Eine verfallene Straße mit Häusern, von denen der
Putz abblättert und eine riesiger, staubiger Parkplatz auf der einen
Straßenseite – das haben wir uns nicht so vorgestellt. Erfreulich, dass
wenigstens unser Hotel das einzige Haus mit ansprechendem Äußeren ist.
Trotzdem bin ich schon entschlossen, ein anderes Hotel zu suchen, aber
schließlich gehen wir doch hinein. Und drinnen sind wir dann angenehm
überrascht über ein ordentliches, sauberes Zimmer und ein nettes Restaurant,
in dem wir sehr gut zu Abend essen können.
Saldus selbst bietet dem Touristen nicht viel, hat aber einen sehr schönen
Stadtpark, in dem wir einen langen Spaziergang machen.
Donnerstag, 13.06.2019 Saldus – Riga (Lettland)
Um aus Saldus heraus auf die Fernstraße nach Riga zu kommen, müssen wir eine
Nebenstrecke fahren – und da erwischt es uns. Gerade habe ich am Ortsausgang
und in Sichtweite eines 70 km/h – Schildes wieder beschleunigt, werden wir jäh gebremst.
Polizeikontrolle
bei Saldus (Lettland)
Nachdem wir uns auf Englisch als Umgangssprache geeinigt haben, erklärt mir
ein netter, lettischer Polizist, ich sei im Ort 73 km/h gefahren. Er lässt
sich Führerschein und Wagenpapiere zeigen und durch seinen Kollegen im
Streifenfahrzeug überprüfen. Er fragt, nach dem Woher und Wohin und ob ich
das erste Mal in Lettland sei. Danach führt er wieder ein längeres Gespräch
mit seinem Kollegen und kommt schließlich wieder zu mir und erklärt, ich
würde eine schriftliche Verwarnung erhalten. Wir sind erleichtert, denn
eigentlich hatten wir mit einer saftigen Geldbuße gerechnet. So aber wird das
abschließende Gespräch recht locker und freundlich. Übrigens habe ich gerade
gestern (17.08.) ein weiteres Strafmandat aus Lettland über 40 € erhalten –
13 km/h zu schnell. Weiß noch nicht, was ich damit mache. (Anmerkung vom
1.10.2019: Inzwischen habe ich Widerspruch eingelegt und eine Woche danach
auch eine Antwort: 8 DIN A4 - Seiten - auf lettisch!!! Da würden schon die
Übersetzungskosten deutlich höher liegen als die Kosten des Bußgeldes (40
€). Ich habe beschlossen, diese Antwort zu ignorieren und bin gespannt, ob
noch etwas passiert.)
Nach knapp 2 Stunden haben wir Riga erreicht, das sich vom Straßenbild und
Verkehr her deutlich als Zentrum Lettlands präsentiert. Mit 700.000
Einwohnern ist Riga die größte Stadt des gesamten Baltikums – auch mit
großstädtischem Verkehr. Wir haben uns 2 Tage Zeit genommen, es anzuschauen.
Wir finden unser Hotel „Monika Centrum Hotels“, in dem wir schon vor 2 Jahren
gewohnt haben, ohne Schwierigkeiten, und machen uns nach dem Einchecken
gleich auf den Weg in die Innenstadt, die zu Fuß nur 10 Minuten entfernt
liegt.
Der Rathausplatz mit dem prächtigen Schwarzhäupterhaus, 1334 als
„Neues Haus der Großen Gilde“ für Kaufleute und Bürgerschaft gebaut, ist
immer ein Foto wert.
Riga: Rathausplatz mit Schwarzhäupterhaus
(links)
Danach bummeln wir noch ein bisschen durch die Altstadt, wo wir auch wieder
auf die Bremer Stadtmusikanten treffen, die uns dieses Mal nicht überraschen.
Die Skulptur wurde 1990 von der Künstlerin Christa Baumgärtl angefertigt und
ist ein Geschenk der Stadt Bremen an ihre Partnerstadt Riga. Sie symbolisiert
die überraschende Öffnung des Eisernen Vorhangs im Zeichen der Perestroika.
Freitag, 14.06.2019 Riga (Lettland)
Heute steht die Fahrradführung durch Riga an. Wir sind rechtzeitig an dem
kleinen Laden in der Passage am Rand der Fußgängerzone. Schnell sind passende
Fahrräder gefunden. Nun noch die Sattelhöhe einstellen und ordentlich Luft
auf die Reifen – und schon geht es los. Unser Führer ist der etwa 40-jährige
Inhaber des Ladens, dessen Tochter die Vermietung während unserer Abwesenheit
übernimmt.
Natürlich ist das Freiheitsdenkmal eines der ersten Ziele. Es wurde in
Erinnerung an die erste lettische Unabhängigkeit zwischen 1931 und 1935
errichtet, hat deutsche und sowjetische Besatzung und auch den Krieg selbst
überstanden und symbolisiert die staatliche Souveränität Lettlands. Immer 2
Posten stehen vor dem Denkmal; wir kommen gerade zur Wachablösung vorbei.
Militärischer Paradeschritt kann ja durchaus beeindruckend sein, wenn ganze
Kolonnen an einem vorbeiziehen, aber wenn nur 2 Posten mit einem Vorgesetzten
das Ablösungs-Zeremoniell vollziehen, hat es irgendwie schon etwas Skurriles.
Das Freiheitsdenkmal in Riga (unten)
Unser Führer ist durchaus versiert und führt uns auch zu touristischen
Sehenswürdigkeiten, die wir nicht unbedingt erwarten. So gibt es im Park
Kronvalda ein Denkmal zur Erinnerung an die blutigen Auseinandersetzungen
1991 zwischen Unabhängigkeitsbefürwortern und russischen Spezialeinheiten.
Dieses Denkmal wurde 1992 mit einem Segment der Berliner Mauer ergänzt, ein
Gastgeschenk des Berliner Museums „Haus am Checkpoint Charlie“.
Riga'er Freiheitsdenkmal / Teile der Berliner Mauer im Park Kronvalda
Interessant ist auch die Fahrt
auf die andere Seite der Düna, einst Elends- und Kriminalitätsviertel Rigas,
inzwischen aber auf dem Weg zu einer exquisiten Wohngegend für die Rigaer
Upper Class.
Entlang der Küste geht es heute 150 km über Lilaste und den Grenzort Ainazi
ins estländische Häädemeeste. In Lilaste habe ich vor 12 Jahren im Hotel
Medzabaki übernachtet, ein eindrucksvoller Reetdach-Komplex mit dem
danebenliegenden, wunderschönen Lilaster See. Damals war alles noch nicht so
recht fertig, aber heute verlockt die Anlage zu einem längeren Urlaub.
Hotel Medzabaki am Lilaster See
Machen wir aber nicht, sondern es geht weiter über die lettisch-estnische Grenze,
die wir gar nicht bemerken. Eigentlich sollte ja das Lepanina-Hotel in Kabli
unser Ziel sein, doch die idyllisch gelegene Hotelanlage mit Naturstrand, in
der ich 2007 übernachtet hatte, hat gar nicht auf meine Online-Anfragen
reagiert. So habe ich ein kleines Ferienhaus bei Häädemeeste gebucht, das wir
erst nach einigem Suchen finden. Die Wirtin ist sehr nett, aber wir erfahren,
dass wir das Haus mit 2 Monteuren teilen müssen, somit auch Dusche, WC und
Küche, in der noch die Reste vom Frühstück stehen. Unser Zimmer mit
Dachschräge erreichen wir über eine Außentreppe. Leider lässt sich die
Zimmertür nicht öffnen, auch der herbeigeholte Sohn des Hauses schafft es
nicht. Irgendwann aber klappt es doch, aber wir sind nicht gerade amused, als
wir das Schrägdachzimmer sehen. Nun, es ist ja nur für eine Nacht – das überstehen wir
schon. Ansonsten sind wir hier wirklich auf dem Land. Auf unsere Frage nach
einem Restaurant werden wir auf die nächsten größeren Ortschaften in einer
Entfernung von 20-30 km verwiesen. Wir finden dann glücklicherweise eine
kleine Bude, in der wir eine einfache Mahlzeit bekommen.
Sonntag, 16.06.2019 / Häädemeeste – Rakvere (Estland)
Etwas zerknautscht starten wir am Morgen zur Fahrt durch Estland, zunächst
die Küste entlang bis Pärnu, dann in nordöstlicher Richtung direkt auf die
russische Grenze zu, die wir heute allerdings nicht erreichen werden. Die
Straße ist mir noch von meiner Radtour in guter Erinnerung – ich hatte damals
Top-Bedingungen und fuhr über eine Stunde lang mit Rückenwind ständig 30 km/h
und mehr. Heute muss ich eher bremsen, denn die verkehrsarme, breite Straße
verführt dazu , die erlaubten 90/110 km/h zu überschreiten.
In Türi machen wir einen kurzen Abstecher zu dem Motel, in dem ich 2007 übernachtet hatte.
Es ist ein eindrucksvoller, massiver Bau, dem man ansieht, dass er zur
Bauzeit den Bewohnern nicht nur als Heim dienen, sondern auch Schutz bieten
sollte Hier hat man offensichtlich erhebliche Fortschritte gemacht –
die daneben stehende alte
Scheune, seinerzeit nur provisorisch hergerichtet, hat sich wirklich zu einem
Saal mit Restauration gemausert.
Motel in Türi
Burg Wesenberg in Rakvere
Die ersten steinernen Bauten der Burg entstanden Mitte
des 13. Jahrhunderts unter dänischer Be-satzung. 1346 geriet die Burg in
Besitz des Deutschen Ordens und wurde von diesem als Vogtei ausgebaut. Im
livländischen Krieg (1559-1581) fiel sie an Russland, wurde schließlich im
17. Jahrhundert ganz aufgegeben und diente später den Einwohnern von Rakvere
als Steinbruch.
Heute ist die Burg zu einem touristischen Anziehungspunkt mit – nett
gemachten - mittelalterlichen Themen ausgebaut. Wir schauen uns alles an und
essen dann in der kleinen Kneipe, in der einfache Gerichte nach
mittelalterlichen Rezepten angeboten werden.
Montag, 17.06.2019 / Rakvere (Estland) – St. Petersburg (Russland)
Heute wird es wieder einmal spannend – der Grenzübergang von Estland nach
Russland und die Fahrt nach St. Petersburg sind angesagt. Nach den
Erfahrungen von Kaliningrad haben wir uns auf einen längeren ‚Arbeitstag‘
eingestellt, obwohl ich im Vorfeld schon versucht hatte, die
Abfertigungsmodalitäten zu vereinfachen. Die Esten haben nämlich ein
spezielles Abfertigungssystem. Wenn man in Narva über die Grenze will, muss
man zunächst in eine Wartezone fahren, die etwa 1 km von dem eigentlichen
Grenzübergang entfernt ist. Für die eigentliche Grenzkontrolle werden
sogenannte Slots zugeteilt, Zeiträume von 1 Stunde, in denen man bei der
Kontrollstelle erscheinen muss. Wenn man solch einen Slot erst in der
Wartezone beantragt, kann es sehr lange dauern, bis man dran ist, unter
Umständen weit in die Nacht hinein.
Ich fahre also dorthin und gehe mit meinen Unterlagen zu dem
Ausfahrt-Torhäuschen. Das Gespräch mit dem dortigen Bediensteten gestaltet
sich ausgesprochen schwierig – er kann nur Estnisch. Schließlich bekomme ich
mit, dass ich warten müsse bis zu meiner Slotzeit und dass dann auf dem
großen Bildschirm meine Nummer angezeigt werde. So warten wir ca. eine
Stunde, bis endlich mein Kfz-Kennzeichen auf dem Bildschirm erscheint. Wir
fahren zur Schranke, die auch gleich geöffnet wird und machen uns auf den Weg
zum Grenzübergang. Das ist ein Gebäudekomplex, der baulich mit einem massiven
Tor abgeschlossen ist, das jeweils nur für ein einzelnes Fahrzeug geöffnet
wird. Hier heißt es also erst einmal wieder anstellen in der Autoschlange von
5-6 Fahrzeugen, die vor
der Ampel stehen, die die Zufahrt zum Tor regelt.
Endlich sind wir dran und ich fahre vor das Tor. Etwas beunruhigt registriere
ich, dass es sich nicht wie bei den vorherigen Fahrzeugen öffnet. Meine Sorge
ist nicht unberechtigt.
Tor zur Grenzkontrolle Narva
auf die Slotbuchung und erkläre, dass meine Autonummer auf dem Monitor der
Wartezone erschienen ist. Das genügt ihm nicht. Er will eine Nummer von mir!! Ich werde langsam wütend und frage, wo in Anbetracht meiner Unterlagen das
Problem ist. Er will eine Nummer von mir!!! Ich muss mich beherrschen, denn
wenn ich weiter fahren will, muss ich diesen Grenzübergang passieren.
Also, noch einmal von vorne – den Ablauf geschildert. Er will eine Nummer
von mir!!!!
Entnervt gebe ich auf und fahre zurück in die Wartezone. Der Posten am
Eingangshäuschen spricht ganz gut Englisch und erklärt mir, dass ich nochmals
zur Ausfahrtkontrolle fahren und mir dort eine Nummer geben lassen müsse.
Also wieder dorthin mit meinen Unterlagen. Täusche ich mich oder huscht so
etwas wie Schadenfreude über das Gesicht des Kontrolleurs, als er mir
erklärt, dass mein Slot abgelaufen sei und er mir jetzt keine Nummer geben
könne. Ich müsse mich wieder in der Wartespur aufstellen, bis ein Slot frei
sei. Ich könnte ihn erwürgen!!!
Nach einer halben Stunde wird schließlich unser Auto erneut aufgerufen. Ich
hole mir die benötigte Nummer ab und fahre wieder zum Grenzübergang, warte
dort eine weitere Viertelstunde und kann dann schließlich zur Kontrolle
einfahren. Vorher schalte ich die Dash-Kamera aus und nehme sie aus der
Halterung, um nicht noch eine weitere Verzögerung zu provozieren. Die
estnische Grenzpolizei prüft Papiere und Fahrzeug gründlich; wir müssen auch
die Abdeckung vom Kofferraum hochnehmen, so dass Sicht auf den Reservereifen
besteht. Dann weiter zur russischen Kontrolle, wo zunächst die Papiere
überprüft werden. Wir müssen beide aussteigen und zur Sichtkontrolle an das
Abfertigungshäuschen herantreten, können dabei nicht ins Innere sehen, weil
die Scheibe verdunkelt ist. Dann die Überprüfung des Fahrzeugs wie gehabt und
schließlich soll ich auch wieder eine Zollerklärung über die Einfuhr unseres
PKW ausfüllen. Netterweise erhalte ich ein russisches Formular – und auf
meinen Protest hin eines in englischer Sprache. Wegen der vielen Details, die
gefragt werden, muss ich den Kfz-Schein zu Hilfe nehmen und komme dennoch
ins Schleudern, denn trotz meiner passablen Englischkenntnisse sind mir die
meisten kraftfahrtechnischen Begriffe fremd. Ich muss mehrmals nachfragen,
muss ein komplett neues Formular ausfüllen, wenn etwas falsch eingetragen
ist, und bin nach 20 Minuten immer noch nicht fertig. Nach wiederholter
Nachfrage am Schalter gibt mir die russische Bedienstete – oh Wunder – auf
einmal ein in Deutsch verfasstes Formular. Jetzt sollte alles besser werden,
und ich beeile mich mit dem Ausfüllen, denn hinter uns die 5 Motorradfahrer,
die auch auf dem Weg nach St. Petersburg sind, werden langsam unruhig. Prompt
vergesse ich wieder einen Eintrag; und als endlich alles fertig zu sein
scheint, bemängelt die Kontrolleurin, dass ich mein en Namen in die falsche
Zeile geschrieben habe. Das liegt aber nicht an mir, sondern an dem
idiotischen Aufbau des Formulars, denn das Namensfeld enthält eine
Formularüberschrift und lässt so eigentlich gar keinen Platz, etwas
hineinzuschreiben. Ich versuche, das zu verdeutlichen, aber vergeblich.
Wieder ein neues Formular – meine Empörung wandelt sich langsam in
Verzweiflung und ich weigere mich, noch einmal anzufangen. Und siehe da, die
russische Kontrolleurin, eine auf einmal ganz nette Frau mittleren Alters,
nimmt das Formular, überträgt alle Daten des alten Formulars, gibt es mir
dann zur Unterschrift – endlich fertig.
Den weiteren Verlauf der Grenzkontrolle bekomme ich danach gar nicht mehr
richtig mit, aber wenn ich alles zusammenrechne, haben wir an dieser Grenz
ca. 4 ½ Stunden verbracht und sind uns einig, nie wieder mit dem Auto nach
Russland zu fahren.
Mit einigem Abstand sehe ich das aber inzwischen nicht mehr so eng.
Wir sind trotz aller Widrigkeiten erst einmal in Russland und auf der Straße
nach St. Petersburg, die einen deutlich besseren Eindruck macht, als ich vor
12 Jahren erlebt habe. Die 2-stündige Fahrt zu unserem Hotel Azimut ist nicht
weiter problematisch, auch wenn wir zwischendurch einmal nachfragen müssen.
Das Azimut ist ein für den Massentourismus errichtetes Hotel mit 13
Stockwerken. Es liegt zentrumsnah und ermöglicht den Besuch vieler
Sehenswürdigkeiten auch zu Fuß. Wir bekommen ein Zimmer im 12. Stock und
haben von dort einen herrlichen Ausblick auf St. Petersburg.
Blick vom Azimut-Hotel mit Lakhta Center im Hintergrund
Dienstag, 18.06.2019 / St. Petersburg
Der Tag beginnt chaotisch. Offenbar sind alle Hotelgäste des Azimut
gleichzeitig mit uns auf dem Weg in den Frühstücksraum, der hoffnungslos
überfüllt ist. Besonders Scharen von japanischen Besuchergruppen fallen ins
Auge. Wir brauchen eine ganze Weile, um einen Platz zu finden, den wir dann
auch nur wechselseitig verlassen, damit er überhaupt gehalten werden kann.
Die wirklich eifrige Bedienung kommt überhaupt nicht nach, die Tische
leerzuräumen und die leeren Essensbehälter aufzufüllen.
Wir wollen die Stadt heute zu Fuß erkunden und wandern Richtung historisches
Zentrum, damit auch zur Peter-Paul-Festung, deren Baubeginn im Jahre 1703
gleichzeitig als Gründungsdatum von St. Petersburg gilt. Die unter Zar Peter
dem Großen erbaute Festung liegt auf einer durch den Flusslauf der Newa
gebildeten Insel und ist über zwei Brücken erreichbar. Von weitem schon sieht
man die Peter-Paul-Kathedrale, Grabstätte fast aller russischer Zaren.
Gebaut wurde die Festung ursprünglich zum Schutz vor den Schweden, wurde aber
in dieser Funktion nie gebraucht. Stattdessen diente sie jahrelang als
Gefängnis für politische Gefangene.
St. Petersburg hat viele eindrucksvolle Bauwerke und touristische Ziele –
aber ich kann hier nicht alles darstellen, was wir gesehen haben und schon
gar nicht, was wir alles nicht gesehen haben.
St. Petersburg - Peter-Paul-Kathedrale und Festungsmauer
Heute sind wir mit Galina verabredet, der russischen Führerin, die ich über
unser Hamburger Reisebüro gebucht hatte. Wir haben 3 wesentliche
Programmpunkte: den Katharinenpalast mit dem Bernsteinzimmer, die Eremitage
und eine Flussfahrt auf der Newa.
Galina kommt pünktlich 09:00 Uhr ins Azimut und wir fahren mit unserem Wagen
zu dem ca. 30 km entfernten Katharinenpalast in Puschkin, in dem auch das
Bernsteinzimmer ist, das für mich eines der wichtigsten Ziele unserer Reise
darstellt. Der Verkehr in St. Petersburg ist großstädtisch, aber in keiner
Weise irgendwie gefährlicher als in Hamburg oder Berlin. Galina weiß einen
Parkplatz nur unweit entfernt vom Palast. Sie führt uns an dem Haupteingang
vorbei zu einem zweiten Eingang, der schon einiges verrät von dem Prunk des
Palastes.
Zur Einlasszeit werden die großen Flügeltüren geöffnet und wir gehen in den
Park hinein.
Der Prunk ist überwältigend und verstärkt sich noch im Innern der Gebäude.
Katharinenpalast: Eingangstor und Außenanlage
Als wir schließlich zum Bernsteinzimmer kommen, sind wir schon gesättigt mit
Eindrücken. So prächtig dieser Raum auch ist und wie sehr die Kunstfertigkeit
beeindruckt, mit der hier Bernstein zur Dekoration und Ausgestaltung eines
großen Raumes verwendet wurde, er ist nur einer von vielen großartigen Räumen
und Kunstwerken und verliert so ein bisschen von seiner
Einmaligkeit.
Katharinenpalast
Prunksaal mit Deckengemälde und Bernsteinzimmer
Nachdem wir ausgiebig mit Eindrücken aus dem Palast von Katharina der Großen
gefüttert worden sind, tut uns eine physische Stärkung in dem kleinen
Restaurant nebenan gut. Anschließend fahren wir zurück nach St. Petersburg
und haben eine Stunde Pause bis zum Besuch der Eremitage.
Die Eremitage ist eines der größten Kunstmuseen der Welt und bildet eine
Einheit mit dem ehemaligen Winterpalast des Zaren, der einige spektakuläre
Räume enthält. Der gesamte Gebäudekomplex am Ufer der Newa wird heute als
Eremitage bezeichnet. Ich hatte ihn bereits bei meiner Radtour im Jahre 2007
von außen fotografiert.
Heute aber geht es mit unserer Führerin Galina ins Innere. Sie hat sich gut
vorbereitet und bringt uns zu den wichtigsten Räumen und Kunstwerken. Es ist
von vorneherein klar, dass wir nicht alles sehen können – dazu müsste man
Tage hier verbringen, aber wir sehen die prachtvollen Räume des
Winterpalastes mit den darin ausgestellten Kunstwerken und in der
eigentlichen Eremitage Werke der berühmtesten klassischen Maler
(Rembrandt, Rubens, da Vinci, Velasquez, Goya u.a.).
Ein besonderer Besuchermagnet ist die Pfauenuhr im Winterpalast, ein
aus Bronze und Silber gefertigter und vergoldeter Uhrenautomat, den
Katharina die Große 1781 von dem englischen Uhrmacher James Cox erstand.
Die Pfauenuhr schlug zu jeder vollen Stunde - und dabei bewegten sich die
installierten Figuren, ein Pfau, ein Hahn und eine Eule. Der Pfau schlug
ein Rad, der Hahn krähte und die Eule drehte den Kopf. Das nachfolgende
Bild zeigt den obersten Teil des Kunstwerks mit dem Pfau.
Aber ein Programmpunkt
fehlt noch, bei dem wir
schon ein bisschen die Seele baumeln lassen können – ein Bootsfahrt über die
Newa und die Kanäle St. Petersburgs, das mit seinen vielen Wasserstraßen ja
auch Venedig des Nordens genannt wird – wie übrigens auch Hamburg. Aber noch
mehr als Hamburg ist St. Peterburg von Touristen überlaufen, so dass sich uns
auf einer Brücke ein Bild bietet, wie es nur der Massentourismus hevorbringt
- eine ununterbrochene Kette von Ausflugsbooten schiebt sich durch den
Fluss. Ein Blick von unserem Boot auf die Peterer-Paul-Festung
entschädigt uns.
Home Teil
2 der Autotour
Fahrtstrecke gesamt
Fahrtstrecke detailliert