Ostseetour - Versuch einer Auswertung
Die Strecke
Die Strecke führte über 4.808 km und durch 9 Länder rund um die Ostsee. Ich habe überwiegend große Straßen und meist auch den direkten Weg benutzt, um die Fahrt nicht zu lang werden zu lassen. Das Streckenprofil war insgesamt nicht sehr schwierig. Anspruchsvolle Steigungen waren nur in zwei Fällen zu überwinden. Die äußeren Bedingungen waren überwiegend gut bis sehr gut, meist Rückenwind und strahlender Sonnenschein . Erst in Schweden habe ich nennenswerten Regen und Gegenwind erlebt.In Schweden würde ich künftig auf jeden Fall versuchen, die Europastraße 4 weitgehend zu meiden, obwohl das sicherlich mit einem erheblichen Mehr an Fahrtzeit und Kraftaufwand verbunden wäre. Ich habe mich auf dieser Straße mehrfach wirklich gefährdet gefühlt. Sie ist für Autofahrer gebaut und nimmt keinerlei Rücksicht auf Radfahrer. Besonders an Stellen, in denen die Fahrbahn rechts durch eine Leitplanke begrenzt ist, fühlte ich mich manchmal geradezu eingesperrt und von dem von rückwärts nahenden Verkehr bedroht. In Russland (Kaliningrad, St. Petersburg), gab es auch mal punktuelle Probleme, aber nirgendwo so durchgängig und intensiv wie auf der E 4 in Schweden.
Die Etappen waren mit durchschnittlich 123 km für mein Alter eine angemesssene sportliche Herausforderung. Sie waren aber zu lang, um neben der eigentlichen Fahrt noch ausgedehnte touristische Erkundungen vornehmen zu können. Das war aber so einkalkuliert. Die von mir benötigten 39 Tage für die Tour scheinen mir insgesamt das absolute Minimum für so eine Fahrt zu sein.
Die Ausstattung
Meine Ausstattung hat sich als grundsätzlich zweckmäßig erwiesen. Der Verzicht auf viel Wäsche und Kleidung war richtig. Das Wäschewaschen zwischendurch war eine Kleinigkeit und ohnehin bei der langen Strecke unvermeidbar. Für den Ausgang an den Zielorten reichte im Grunde eine vernünftige Hose aus. Selbstverständlich ist Regenkleidung und - ganz im Norden - zumindest ein warmer Pullover unverzichtbarManches Werkzeug und Ersatzteile wären im Nachhinein zwar nicht erforderlich gewesen, aber das weiß man vorher ja nie. Lieber etwas mehr mitführen und dafür die Sicherheit haben, dass man nicht irgendwo mutterseelenallein mit einem defekten Fahrrad steht ohne passendes Werkzeug. Ich habe auf zwei anderen Touren bereits erleben müssen, dass mir Speichen gerissen sind. In so einem Falle ist es besonders im Osten unentbehrlich, ein paar Speichen und entsprechendes Werkzeug dabei zu haben. Am Rad selbst haben sich die Marathon - Spezialreifen mit der verdickten Lauffläche besonders bewährt, die ich weitgehend dafür verantwortlich mache, dass unterwegs kein Reifenschaden aufgetreten ist.
Das Kartenmaterial, das wirklich sehr umfangreich war und ca. 20 % meiner Packtaschen beanspruchte, war unbedingt erforderlich. Der Maßstab von 1:200.000 ist zwar nicht optimal, reicht aber aus. Karten mit einem Maßstab von 1:500.000 und höher bieten einfach zu wenig an Details und sind deshalb für das Radfahren nicht geeignet. Als sehr nützlich hat sich gerade im Osten erwiesen, dass die Hotels in den Karten vermerkt waren, so dass ich die Etappen danach ausrichten konnte.
Sehr gehadert habe ich mit meinem Sattel, wobei ich nicht weiß, ob die Sitzprobleme, die mich die ganze Fahrt begleitet haben, auf den Sattel oder meine Empfindlichkeit oder beides zurückzuführen sind. De facto war es aber so, dass ich nicht einen Tag ohne Schmerzen gefahren bin, und das hat an manchen Tagen doch zu erheblicher Frustration geführt. Immerhin war mir das eine Lehre, lange Touren künftig nur auf einem erprobten Sattel zu machen.
Anmerkung 2012: Das Sattelproblem ist inzwischen geklärt. Ursache für die dauernden Schmerzen war in erster Linie eine zu hohe Einstellung des Sattels. Sie ist zwar für die Hebelwirkung der Beine günstig, und man kann mehr Kraft auf die Pedalen bringen, aber da dadurch das Gewicht nach vorne verlagert und das Schambein zu stark belastet wird, entsteht ein extrem starker Druck und Schmerz in der Schambeigegend. So habe ich bei späteren Touren notgedrungen den Sattel heruntergesetzt und beim Fahren dementsprechend kleinere Gänge gewählt.
Die Kosten
Wenn ich nur die Kosten auf der Strecke nehme,komme ich auf ca. 50 € pro Tag. Aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Inklusive aller Vorbereitungskosten komme ich auf einen Gesamtbetrag von 3.600 € (siehe Kostenübersicht), also knapp 100 € pro Tag. Dabei ist der Ostteil der Strecke natürlich billiger als die skandinavischen Länder, aber auch in Schweden und Finnland liegen die Kosten nicht höher, als wenn man durch Deutschland fahren würde.Anmerkung 2012: Die Kosten in Schweden und Dänemark haben zwischenzeitlich erheblich angezogen.
Im übrigen war es überall ausreichend, die EC-Karte mitzuführen. Automaten gab es in allen Ländern. Ein bisschen überrascht war ich nur, als ich in Schweden und Dänemark nicht mit Euro bezahlen konnte, sondern auf Kronen angewiesen war.
Verständigung
Eigentlich kommt man mit Englisch fast überall durch, in Polen und Finnland hat man auch mit Deutsch ganz gute Chancen. Schwieriger ist es in Russland, wo der Mann auf der Straße überwiegend wirklich nur russisch spricht. Unterstützung durch ein kleines Handlexikon jedes Landes ist angesagt. Ich hatte für Polen, Schweden und Russland die kleinen Pons-Lexika, für die anderen Länder Sprachführer der Kauderwelsch-Reihe. Letztere sind keine reinen Wörterbücher, sondern Spracheinführungen, nach Themen gegliedert (Unterwegs, Einkaufen usw) und mit Standard-Redewendungen versehen. Was sich beim ersten Lesen als interessante Einführung in die jeweilige Sprache darstellte, Verständnis für sie weckte und einem ermöglichte, ganze Sätze für die Unterhaltung bereitzuhalten, war im Nachhinein eher ein Nachteil. Was nutzt es einem, wenn man einen einstudierten Satz fehlerfrei herunterbetet, von der Antwort dann aber absolut nichts versteht; wobei man durch den eingeübten Satz auch noch den fälschlichen Eindruck erweckt, etwas von der Sprache zu verstehen. Insofern habe ich nachher doch die Standardwörterbücher bevorzugt, wo ich im Notfall auf ein einzelnes Wort zeigen und mir auch von dem Gegenüber einzelne Begriffe / Antworten zeigen lassen konnte.Für Russland hat es sich übrigens bewährt, dass ich mir vor und während der Fahrt die kyrillischen Buchstaben eingepaukt habe. Auf diese Weise erklärte sich so manches Wort von selbst.
Sicherheit
Mal abgesehen von der Verkehrssicherheit, die ja hauptsächlich in Schweden ein Thema war, gab es auf der gesamten Fahrt nicht eine Situation, in der ich mich wirklich gefährdet gefühlt habe. Obwohl ich gerade in Estland und Russland kilometerweit auf menschenleeren Straßen gefahren bin, habe ich mich immer sicher gefühlt. Es war schon so, wie ich vermutet hatte. Da ich mich nicht in ausgesprochenen Touristenhochburgen aufgehalten habe, habe ich es generell auch nur mit ganz normalen Bürgern zu tun gehabt - und die sind nun mal auch in Estland und Russland keine Kriminellen, die Fremde überfallen und ausrauben.Nur einmal gab es in Estland auf einer großen Landstraße eine Situation, in der ich etwas gestutzt habe. Ein Mercedes kam mir entgegen, hielt an der vor mir liegenden Abzweigung und ein sehr kompakter Fahrer mittleren Alters sprach mich an. Ich meinte herauszuhören, dass er mich fragte, ob er mir irgendwie helfen könne, aber die Gesamtumstände waren so, dass ich auch im Nachhinein Zweifel daran habe, ob das der wirkliche Beweggrund war. Ich hielt Abstand, lehnte freundlich ab und fuhr weiter und war einigermaßen erleichtert, dass er mir nicht folgte. Aber, wie gesagt, eine konkrete Gefahr habe ich da auch nicht gesehen, sondern allenfalls einen vagen Verdacht.
Highlights
Besonders gefallen hat mir die Fahrt durch das finnische Seengebiet; ein Highlight war ohne Zweifel auch St. Petersburg, aber auch die Kurische Nehrung, Riga, Teile Estlands, die schwedischen Ostseestädte und Kopenhagen waren sehr schön. Das alles war nur ansatzweise zu erfahren, denn für tiefere Einblicke war die Fahrt nicht gemacht.Man kann im übrigen auf so einer Reise nicht alle halbe Stunde eine Sensation erwarten, aber das soll es auch gar nicht sein. Die Freude an der Fahrt kommt oft durch das Fahren selbst, die Freude an der Bewegung, die Ruhe und Entspannung, die einen erfasst, der Einklang mit der Landschaft, manchmal auch die Freude an der Geschwindigkeit und der eigenen Leistung.
Nicht unbedingt ein Highlight auf der Strecke, aber trotzdem ein absolutes Highlight war die positive Auswirkung der Fahrt auf meine Gesundheit und Fitness. Das war mir schon sehr wichtig.
Nicht so toll
Über die schreckliche Europastraße 4 habe ich mich schon geäußert, auch die Sitzprobleme angesprochen. Letztere hätten in Polen fast dazu geführt, dass ich die Fahrt abgebrochen hätte. Die Schmerzen waren manchmal schon sehr heftig, aber glücklicherweise morgens immer wieder verflogen, so dass ich zumindest immer einigermaßen zuversichtlich starten konnte. Im Nachhinein habe ich jetzt gelesen, dass auch viele Profis trotz bester Betreuung bei langen Etappenrennen Sitzprobleme haben. Eine Ideallösung scheint es nicht zu geben - nicht besonders tröstlich.Anmerkung 2012: Es war mein Fehler - siehe Anmerkung zur Ausstattung - Sattel.